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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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trübselig den August in einem »Alles inklusive«-Ferienclub in der Türkei — es war im übrigen das letzte Mal, daß ich mit meinen Eltern in Ferien fuhr. Meine beknackte Schwester — sie war damals dreizehn — fing an, alle Typen anzumachen. Es war beim Frühstück; wie jeden Morgen hatte sich vor dem Rührei, für das die Urlauber anscheinend eine große Schwäche hatten, eine Schlange gebildet. Neben mir stand eine alte Engländerin (eine hagere boshafte Alte, der man ohne weiteres zutraute, daß sie Füchsen das Fell abzog, um ihren Livingroom damit zu schmücken), die sich schon reichlich mit Rührei bedient hatte und nun ohne zu zögern auch noch die letzten drei Würstchen nahm, die den Metallbehälter garnierten. Es war fünf vor elf, die Frühstückszeit ging zu Ende, und es war kaum vorstellbar, daß der Ober noch weitere Würstchen bringen würde. Ein Deutscher, der hinter ihr stand, erstarrte; seine Gabel, die schon nach dem Würstchen ausgestreckt war, machte auf halbem Weg in der Luft halt, und das Gesicht des Mannes rötete sich vor Entrüstung. Der Deutsche war ein riesiger Kerl, ein wahrer Koloß von über zwei Metern und wenigstens drei Zentnern. Einen Augenblick lang glaubte ich, er würde der gut achtzigjährigen Alten mit seiner Gabel die Augen ausstechen oder ihr den Hals abschnüren und ihr den Kopf auf dem Büffet zertrümmern. Die Frau in ihrem greisenhaften Egoismus, der ihr wohl nicht einmal mehr bewußt war, trippelte an ihren Tisch zurück, als sei nichts geschehen. Der Deutsche riß sich zusammen, ich spürte, wie sehr er sich zusammenriß, dann nahm sein Gesicht wieder einen friedlichen Ausdruck an, und er kehrte traurig, ohne Würstchen, zu seinen Artgenossen zurück.
    In Anlehnung an diesen Zwischenfall erfand ich einen kleinen Sketch über eine blutige Revolte in einem Ferienclub, die dadurch ausgelöst wurde, daß winzige Einzelheiten im Widerspruch zu der »Alles inklusive«-Formel standen: die Würstchenknappheit beim Frühstück und dann der Aufpreis für das Benutzen der Minigolfanlage. Noch am selben Abend trug ich diesen Sketch im Rahmen des Programms Sie haben Talent! vor (einmal in der Woche ersetzten die Urlauber die Profi-Animateure und gestalteten das Abendprogramm mit eigenen Auftritten); ich übernahm selbst sämtliche Rollen in meinem Sketch und gab damit mein Debüt auf dem Sektor der One-Man-Show, auf dem sich praktisch meine ganze Karriere abspielen sollte. Fast alle erschienen nach dem Abendessen bei dieser Vorführung, um die Zeit bis zur Öffnung der Diskothek totzuschlagen; da kam schon ein Publikum von achthundert Leuten zusammen. Mein Auftritt war ein voller Erfolg, viele lachten Tränen, und ich bekam stürmischen Applaus. Noch am selben Abend sagte eine hübsche Brünette namens Sylvie zu mir, daß sie sich halb totgelacht habe und daß sie Jungens mit Humor sehr schätze. Die gute Sylvie. Und so verlor ich meine Unschuld und entdeckte meine Berufung.
    Nach dem Abitur ging ich auf eine Schauspielschule; dann folgten einige nicht sehr ruhmreiche Jahre, in denen ich immer bösartiger und folglich immer bissiger wurde; unter diesen Umständen ließ der Erfolg nicht lange auf sich warten und nahm Ausmaße an, die mich selbst überraschten. Ich begann mit kleinen Sketchen über Patchwork-Familien, über die Journalisten von Le Monde und die Armseligkeit der Mittelschicht im allgemeinen — ich war sehr überzeugend in der Rolle von Intellektuellen, die die Hälfte ihrer Karriere bereits hinter sich hatten und angesichts des entblößten Bauchnabels und des aus der Hose hervorschauenden Strings ihrer Töchter oder Schwiegertöchter plötzlich inzestuöse Gelüste entwickelten. Kurz gesagt, ich war ein scharfer Beobachter der gegenwärtigen Realität; man verglich mich oft mit Pierre Desproges. Ich widmete mich weiterhin der One-Man-Show, nahm aber auch hin und wieder die Einladung zu Fernsehsendungen an, vorausgesetzt, sie hatten hohe Einschaltquoten und waren von niedrigem Niveau. Ich unterließ es nie, darauf hinzuweisen, wie niedrig das Niveau war, tat es aber immer in subtiler Form: Der Moderator sollte sich ein bißchen in Frage gestellt fühlen, aber nicht zu sehr. Mit einem Wort, ich war ein echter Profi ;ich wurde nur ein wenig überschätzt, aber da war ich nicht der einzige.
    Ich will damit nicht sagen, daß meine Sketche nicht witzig waren, das waren sie durchaus. Ich war tatsächlich ein scharfer Beobachter der gegenwärtigen Realität; ich hatte

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