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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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einfach nur das Gefühl, daß alles ziemlich primitiv geworden war und daß es in der gegenwärtigen Realität nur noch wenig zu beobachten gab: Wir hatten so vieles vereinfacht, so vieles gestrichen, so viele Barrieren überwunden, Tabus gebrochen, falsche Hoffnungen und alberne Bestrebungen aufgegeben; da blieb nicht mehr viel. Gesellschaftlich gesehen, gab es Reiche und Arme und nur wenige Übergangsmöglichkeiten — der soziale Aufstieg war zu einem Begriff geworden, den man fast nur noch ironisch verwenden konnte. Es gab allerdings noch die konkrete Möglichkeit, sich zugrunde zu richten. Auf sexueller Ebene gab es die Menschen, die bei den anderen Lust erweckten, und die, die das nicht taten: ein simpler Mechanismus, der nur ein paar modale Komplikationen kannte (die Homosexualität usw.) und sich leicht in den Begriffen Eitelkeit und narzißtischer Wettkampf zusammenfassen ließ, mit denen die französischen Moralisten sie schon vor dreihundert Jahren sehr treffend beschrieben hatten. Natürlich gab es außerdem noch die einfachen Leute, jene, die arbeiteten, die Waren für den täglichen Bedarf produzierten und sich für ihre Kinder aufopferten — häufig auf etwas drollige oder, wenn man so will, rührende Weise (aber ich war ja vor allem Komiker); jene, die in ihrer Jugend nicht schön, später nicht ehrgeizig und zu keinem Zeitpunkt reich waren und dennoch aus tiefstem Herzen, sogar als erste und ehrlicher als alle anderen, Schönheit, Jugend, Reichtum, Ehrgeiz und Sex als verbindliche Werte anerkannten; jene, die gleichsam das Bindemittel der Soße bildeten. Sie konnten, das muß ich zu meinem Bedauern sagen, kein Thema für mich sein. Dennoch nahm ich sie manchmal in meine Sketche auf, damit sie etwas Abwechslung hineinbrachten und die Sache wie aus dem Leben gegriffen wirkte; aber mir ging das Ganze trotzdem allmählich auf die Nerven. Das Schlimmste daran war, daß ich als Humanist angesehen wurde; ein Humanist zwar wider Willen, aber doch ein Humanist. Um etwas konkreter zu werden, hier einer der Scherze, den ich bei meinen Auftritten häufig angebracht habe:
    »Weißt du, wie man den Fettkloß nennt, der die Scheide umgibt?«
    »Nein.«
    »Frau.«
    Obwohl ich solche Knaller auf der Bühne zum Besten gab, bekam ich seltsamerweise weiterhin gute Kritiken in Elle und Telerama; allerdings waren seit dem Erfolg der nordafrikanisch-stämmigen Komiker wieder Macho-Entgleisungen in Mode gekommen, und meinen Entgleisungen haftete eben immer eine gewisse Eleganz an: Ich ließ die Sache vom Stapel, setzte noch eins drauf, aber alles immer schön unter Kontrolle. Das Gute an dem Beruf des Humoristen und ganz allgemein an der humoristischen Haltung im Leben ist, daß man sich völlig ungestraft wie eine Drecksau benehmen kann, sich noch dazu die Bösartigkeit finanziell vergolden oder mit sexuellen Erfolgen vergüten läßt, und das alles mit Zustimmung der Öffentlichkeit.
    Mein angeblicher Humanismus stand in Wirklichkeit auf ziemlich wackligen Füßen: Ein paar lockere Bemerkungen über den bedrohten Berufsstand der Tabakhändler sowie eine Anspielung auf die an der spanischen Küste angeschwemmten Leichen illegal einwandernder Neger hatten mir den Ruf eines Linken und Verteidigers der Menschenrechte eingebracht. Ich, ein Linker? Ich hatte gelegentlich in meinen Sketchen ein paar jüngere Globalisierungsgegner auftreten lassen und ihnen dabei keine direkt unsympathische Rolle zugewiesen; und ich hatte mich auch wohl gelegentlich zu einer demagogischen Haltung hinreißen lassen, ich war eben, wie schon gesagt, ein Profi. Außerdem sah ich aus wie ein Araber, was die Sache erleichterte; das einzige, was damals an Inhalten noch von der Linken übriggeblieben war, war die Ablehnung des Rassismus oder, genauer gesagt, ein gegen die Weißen gerichteter Rassismus. Ich begriff im übrigen nicht so recht, wie es kam, daß ich im Verlauf der Jahre immer stärker einem Araber glich: Meine Mutter war spanischer Abstammung und mein Vater, soweit ich weiß, Bretone. Meine Schwester zum Beispiel, diese dumme Nudel, stammte vom Typ her eindeutig aus dem Mittelmeerraum, aber ihre Hautfarbe war nicht halb so dunkel wie meine, und sie hatte glattes Haar. Man konnte sich durchaus fragen, ob meine Mutter es mit der Treue immer so genau genommen hatte. Oder ob ich womöglich irgendeinen Mustafa als Erzeuger hatte. Oder sogar — eine weitere Hypothese — einen Juden? Aber fuck with that: Araber kamen in Scharen zu meinen

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