Die Mondscheinbaeckerin
in einem der Zimmer einen Anschluss für den Herd zu legen. Julia war ihre erste Untermieterin.
Eigentlich hatte Julia Bedenken gehabt, sich bei ihrer alten Highschool-Feindin einzumieten, doch weil sie sich nichts Teureres leisten konnte, war ihr letztlich keine andere Wahl geblieben. Wider Erwarten kam sie gut mit Stella aus, und im Lauf der Zeit entwickelte sich eine Freundschaft, die Julia sich immer noch nicht so recht erklären konnte. Stella war eines der beliebtesten Mädchen der Mullaby High und von Sassafras gewesen, einer elitären Gruppe hübscher, aufgeweckter Mädchen. Der mürrischen, derben und ziemlich merkwürdigen Julia hingegen waren alle aus dem Weg gegangen. Sie hatte sich die Haare in einem leuchtenden Pink gefärbt, jeden Tag ein Lederhalsband mit Nieten getragen und ihre Augen mit so viel schwarzem Eyeliner umrandet, dass es aussah, als wäre sie verprügelt worden.
Ihr Vater hatte sich bemüht, ihren Aufzug zu ignorieren.
Julia ging den Flur entlang zu ihrem Zimmer, wo ihr auffiel, dass bei ihrem Nachbarn Vance Shelby Licht brannte. Sie trat ans offene Fenster und sah hinaus. Seit sie bei Stella wohnte, in all den schlaflosen Nächten, in denen sie aus diesem Fenster geschaut hatte, war es im oberen Stockwerk des Nachbarhauses niemals hell gewesen. Auf dem Balkon stand ein Mädchen und blickte auf den Wald hinter Vanceâ Haus. Die junge Frau war gertenschlank, hatte blonde Haare, strahlte etwas Verletzliches aus und lieà die Nachtluft nach Ahornsirup duften. Plötzlich fiel Julia ein, wer das war. Vance hatte ihr erzählt, dass seine Enkelin zu ihm kommen würde! In der vergangenen Woche war das der Gesprächsstoff in Julias Lokal gewesen. Manche Leute waren neugierig gewesen, andere hatten Angst gehabt und wieder andere ziemlich gemein reagiert. Nicht alle hatten der Mutter dieses Mädchens verziehen.
Julia mochte sich gar nicht ausmalen, was dem Mädchen hier bevorstand. Mit der eigenen Vergangenheit fertigzuwerden war schwierig genug. Da sollte man nicht auch noch die eines anderen aufarbeiten müssen.
Morgen Abend, beschloss Julia, würde sie im Lokal einen Kuchen mehr backen, als Geschenk für sie.
Julia zog sich aus und legte sich ins Bett. Irgendwann ging das Licht im Nachbarhaus aus. Sie drehte sich seufzend auf die Seite. Morgen war wieder ein Tag, den sie im Kalender abstreichen konnte.
Nach dem Tod ihres Vaters fast zwei Jahre zuvor hatte Julia sich ein paar Tage freigenommen, um nach Mullaby zu fahren und seinen Nachlass zu regeln. Sie hatte vorgehabt, sein Haus und sein Lokal möglichst schnell zu veräuÃern, mit dem Erlös nach Maryland zurückzukehren und endlich ihren Traum von einer eigenen Bäckerei zu verwirklichen.
Doch es war anders gekommen.
Sehr schnell hatte sie festgestellt, dass ihr Vater hoch verschuldet und Haus und Lokal bis unter den First beliehen waren. Der Verkaufserlös für das Haus hatte die Hypothek darauf sowie einen kleinen Teil des Darlehens auf das Lokal abgedeckt. Aber zu einer verlustfreien VeräuÃerung des Restaurants hätte es nicht gereicht. Also hatte sie sich ihren inzwischen allseits bekannten Plan zurechtgelegt. Wenn sie sparsam lebte und es ihr gelang, mehr Gäste in Jâs Barbecue zu locken, war sie in der Lage, das Darlehen abzubezahlen und das Lokal mit ordentlichem Gewinn zu verkaufen. Aus diesem Vorhaben machte sie kein Geheimnis. Sie würde zwei Jahre lang in Mullaby bleiben, was jedoch nicht bedeutete, dass sie sich dauerhaft dort niederlieÃ. Sie betrachtete ihren Aufenthalt als Besuch.
Bei der Ãbernahme hatte Jâs Barbecue eine kleine, treue Gruppe von Stammgästen gehabt, denn ihr Vater hatte die Gabe besessen, seinen Gästen ein Gefühl der Zufriedenheit zu vermitteln. Doch in Mullaby gab es mehr Grillrestaurants pro Kopf als in allen anderen Orten des Bundesstaats, und so herrschte starker Wettbewerb. Julia wusste, dass sie dem Lokal nach dem Tod ihres Vaters einen persönlichen Touch, etwas, das kein anderes vorweisen konnte, verleihen musste. Also begann sie zu backen und Kuchen zu verkaufen â ihre Spezialität â, was sich sofort im Umsatz bemerkbar machte. Schon bald war Jâs Barbecue nicht nur für seine köstlichen Grillgerichte im Lexington-Stil bekannt, sondern auch für die besten Kuchen und das beste Gebäck der Gegend.
Julia traf immer schon frühmorgens im Lokal ein; nur der Koch war
Weitere Kostenlose Bücher