Die Mondscheinbaeckerin
Julia lebte nun in einem kleinen Ort in North Carolina und nannte ein Lokal ihr Eigen. Sie hatte nie geheiratet und auch keine Kinder mehr bekommen. Von dem Privatdetektiv, den Maddies Eltern auf deren Wunsch angeheuert hatten, stammte das Foto von Julia, auf dem sie hübsch und frisch aussah, auch wenn ihre dunklen Augen ein wenig geistesabwesend wirkten. Maddie hatte mit ihren blonden Haaren und blauen Augen nicht viel Ãhnlichkeit mit ihr. Nur die Mundpartie erinnerte entfernt an Julia. Wahrscheinlich, dachte Maddie, kam sie nach ihrem leiblichen Vater, wer der auch immer sein mochte. Sein Name stand nicht auf ihrer Geburtsurkunde. Ãber ihn konnte nur Julia sie aufklären.
Als sie weiterging, klopfte ihr Herz so laut, dass sie es selbst hörte. Sie hatte fast das groÃe Fenster des Lokals erreicht, als sie erneut stehen blieb, sich an die Ziegelwand daneben lehnte, den Rucksack am Boden abstellte und die Augen mit den Händen bedeckte.
Reià dich zusammen, ermahnte sie sich.
Und lieà die Hände sinken.
Ihr Blick fiel auf zwei Teenager auf einer Bank. Das Mädchen hatte widerspenstige Haare und war mit Shorts und einem Top bekleidet. Der junge Mann trug einen weiÃen Leinenanzug und eine rote Fliege. Sie saÃen so dicht beieinander, dass ihre Köpfe sich fast berührten, und der Junge strich mit dem Daumen langsam über das Handgelenk des Mädchens. Sie waren ganz in ihrer eigenen Welt versunken. Prinz und Prinzessin in ihrem Reich. Ihr Anblick lieà Maddie schmunzeln.
Sie hoben den Blick, als die Tür des Lokals sich öffnete. Maddie machte groÃe Augen, denn der ältere Mann, der herauskam, musste sich ducken, um sich nicht zu stoÃen. Maddie hatte noch nie einen so groÃen Menschen gesehen.
Die Teenager standen auf, der Riese gesellte sich mit unbeholfen steifen Schritten zu ihnen. Der Junge streckte ihm die Hand hin, und der Riese schüttelte sie. Sie tauschten ein paar Worte, lachten über etwas, dann entfernte sich der junge Mann im weiÃen Anzug.
Er nickte Maddie mit einem höflichen Lächeln zu, die ihn kurz mit dem Blick verfolgte, bevor sie sich wieder dem Riesen und dem Mädchen zuwandte. Der Riese reichte der jungen Frau eine Papiertüte. Sie nahm sie, und sie gingen weg.
Maddie kam sich vor wie in einem merkwürdigen Märchen, als wäre sie unversehens in das Ende einer Geschichte geraten.
Da öffnete sich die Tür des Lokals abermals, und zwei Männer traten heraus. Silberglitter wirbelte durch die Luft. Sie atmete tief ein. Zucker, Vanille und Butter. Dieser Duft begleitete sie schon ihr ganzes Leben. Manchmal konnte sie ihn sehen wie jetzt, doch meist spürte sie ihn nur. Als Kind hatte er sie bisweilen wie aus dem Nichts überfallen und unerklärlich unruhig gemacht, als sie im Unterricht saÃ, mit ihrem Hund Chester herumtollte oder mit ihrem älteren Bruder eine langweilige Geigenstunde über sich ergehen lieÃ. Auch jetzt noch wachte sie gelegentlich mitten in der Nacht auf, weil sie meinte, dass jemand im Haus buk. Ihre Mitbewohner hielten sie deswegen für verrückt.
Die Vertrautheit des Geruchs gab ihr den Mut, ans Fenster zu treten und in das Lokal zu schauen. Obwohl es eher spartanisch eingerichtet war, drängten sich darin die Menschen.
Maddies Blick wanderte zu einer Frau hinter der Theke. Das war sie.
Julia Winterson.
Ihre leibliche Mutter.
Sie unterhielt sich lächelnd mit einem attraktiven blonden Mann auf der anderen Seite der Theke. In der Realität wirkte Julia deutlich glücklicher als auf dem Foto von dem Privatdetektiv, dachte Maddie.
Maddie ging zur Tür, an der sie einen Zettel mit folgendem Text entdeckte:
BLUE - EYED - GIRL - KUCHEN :
Kuchen für jeden Anlass.
Mehr Informationen im Lokal.
Ein Mann, der gerade herauskam, hielt ihr die Tür auf.
»Bereit?«, fragte er.
Das Ende einer Geschichte. Der Anfang einer anderen.
»Ja, ich bin bereit«, antwortete sie und trat ein.
DAS JAHR DER VOLLMONDE
V ollmond im J anuar : der W olfsmond
Der Sage nach heulten unter diesem Mond hungrige Wölfe vor den Dörfern der Indianer. Bei Vollmond im Januar neigen Menschen dazu, zu viel zu essen, zu trinken und zu spielen, um die Leere des Winters zu füllen.
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Im Februar fällt für gewöhnlich am meisten Schnee. Beim Schneemond träumen die Menschen oft von Orten, an denen sie gern wären.
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