Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Mondspielerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
Vom Netzwerk:
war.
    Auf der anderen Seite des Aven, der rive gauche, noch ein winziger Hafen mit kurzem Quai, pummeligen Fischerbooten und einer Bar mit grüner Markise.
    Und nirgends ein Mensch.
    Nur das Glucksen der Küsse von Flut und Fluss war zu hören, das unregelmäßige Klappern der Stahlseile an den Masten der Schiffe und das leise Weinen einer Frau.
    Die Frau war Marianne, und sie weinte, ohne den Blick von alldem abzuwenden – so unerträglich schön war Kerdruc. Jeder Ort, an dem sie vorher in sechzig Jahren gewesen war, wurde hässlich.
    Das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein, verdichtete sich. Sie roch Salz und frisches Wasser, die Luft war klar wie Glas, auf dem Fluss ein Glanzteppich aus goldblauer Seide. Und wie es roch!
    Im hellen Schein dieser Schönheit war jedes vergangene Entsetzen gnadenlos ausgeleuchtet. Jede hingenommene Kränkung, jeder ungesagte Widerspruch, jede ablehnende Geste. Marianne trauerte, und diese tiefe Trauer zwang sie, ihre Feigheiten zu bereuen.
    Ein rotweißer Kater war aus einem Baum gesprungen und hatte sich hinter Marianne gesetzt. Als diese nicht aufhörte, unter Schluchzern zu beben, erhob die Katze sich, ging um Marianne herum, setzte sich wieder und starrte sie an.
    »Was ist?«, schluchzte Marianne und wischte sich die Tränen vom Gesicht.
    Der Kater machte drei Schritte auf sie zu und stieß seinen Kopf in Mariannes offene Hand. Er rieb sein Köpfchen inbrünstig darin und schnurrte ein tiefes heiseres Schnurren. Marianne kitzelte den Rotweißen unter dem Kinn.
    Die Schatten der Bäume und Häuser wurden länger, die Wasserseide glühender. Kerdruc verdunkelte sich.
    Marianne überschlug, wie viel Geld sie noch besaß. Für ein Taxi bis zum Meer würde es vielleicht reichen oder für eine Mahlzeit und etwas zu trinken; für ein Zimmer nicht, höchstens für eine Luftmatratze und eine Bibel oder ein Holzscheit als Kopfkissen.
    Sie atmete schwer aus. Es war ein langer Tag gewesen.
    Das Donnergrollen kam unvermittelt. Der Kater wand sich erschrocken aus ihren Händen und sprang davon. Schon färbten die ersten nadelscharfen Regentropfen den Asphalt schwarz.
    Die Stahlseile knatterten heftiger, und das Wasser wurde grau und unruhig. Regen schäumte auf den Wellen. Die Schiffe am Quai drückten sich aneinander wie frierende Schafe. Eine Kajütentür vibrierte klappernd im Wind.
    Marianne lief bis zum Hafenbüro, rüttelte an der Tür: verschlossen. Sie hastete bis zum Eingang des Restaurants: verschlossen. Sie klopfte heftiger. Der Regen kam jetzt auch von unten; die Tropfen klatschten so stark auf den Boden, dass sie wieder zurücksprangen. Das Wasser lief Marianne in den Nacken, in die Ärmel, es durchweichte ihre Schuhe. Sie hielt sich den Mantel über den Kopf und lief auf den Quai zurück.
    Der Kater galoppierte auf die Mole zu. Es sah so aus, als wollte er sich in den Fluss stürzen; augenblicklich lief ihm Marianne nach. »Tu’s nicht!«, rief sie entsetzt, doch er setzte zum Sprung an – und landete im letzten Boot, das an der Mole vertäut war. Marianne schaffte es, ihm hinterher über die schaukelnde Reling an Bord zu klettern, rutschte auf dem nassen Boden aus, bekam die Tür zu fassen, drückte sich hindurch in die Kajüte, die Treppe hinunter und zog die Tür fest hinter sich zu.
    Sofort hörte sich der Regen nur noch wie ein Körnerrieseln an, und unter dem Boot war ein Raunen und Murmeln.
    Der Kater saß in der Koje. Sie begann, sich ihre durch und durch nasse Kleidung auszuziehen. Als sie merkte, dass sogar ihre Unterhose klitschnass war, wusch sie alles in dem winzigen Waschbecken der Kabine, die als Dusche und Klo diente. Dann wickelte sie sich neben der Katze in eine Decke und zog den Vorhang zu.
    Sie krümmte sich zusammen, um sich zu wärmen. Der rotweiße Kater robbte in die Kuhle ihrer Arme und schnurrte sie an.
    Das Wiegen und Schaukeln des Schiffes, das leise Klopfen des Regens, der Kokon der dunklen Koje beruhigten sie.
    Nur ein bisschen ausruhen, dachte Marianne. Nur ein bisschen.

    Sie träumte von den Steinreihen Carnacs. Jeder Stein trug Lothars verwundertes Gesicht. Nur Marianne konnte ihn mit einem Kuss befreien, und sie suchte lang nach dem schönsten aller Lothar-Steine. Sie entschied sich dann, doch lieber auf einer Auster davonzufliegen. Die Auster war warm, und sie schaukelte über die Wolken. Das Meer unter ihr war grün, und kleine Lichter wandelten auf den Wellen.
    Mit diesem Licht wachte Marianne auf und brauchte ein wenig Zeit, bis sie

Weitere Kostenlose Bücher