Seepest
Prolog
Schuld ist immer relativ.
Hätte man die beiden Männer in dieser Nacht nach ihrem Tun gefragt – sie wären
sich keiner Schuld bewusst gewesen. Warum auch? Sie machten ihren Job, alles
andere ging sie nichts an. Hauptsache, die Kasse stimmte.
Pünktlich wie ausgemacht übernahmen
sie die Motorjacht in Wasserburg. Sie lag am Ende eines Steges, unbeleuchtet,
in der Dunkelheit kaum auszumachen. Davor, wie ein drohender Schatten, eine
reglose Gestalt, mit beiden Armen einen Aktenkoffer an sich pressend.
»Na endlich«, knurrte der Schatten
ungehalten. Ohne weitere Erklärung drehte er sich um und schwang sich in das
auf und ab tanzende Boot. Sein Hauptaugenmerk schien ausschließlich dem Koffer
zu gelten, gerade so, als enthielte der die Kronjuwelen des englischen
Königshauses. Kaum an Bord, stellte er ihn vorsichtig in Reichweite ab. Wortlos
folgten ihm die beiden Männer.
Der Schatten überzeugte sich, dass
niemand in der Nähe war, bevor er sich den beiden Männern zuwandte.
»Okay, ihr wisst, was ihr zu tun
habt«, begann er mit gedämpfter Stimme. »Bevor ihr startet, kurz ein paar Worte
zum Boot. Zunächst zur Steuerung und zu den Motoren –«
Noch ehe er sich in Einzelheiten
verlieren konnte, fiel ihm der größere der beiden Männer ins Wort: »Geschenkt,
wir sind schließlich keine Anfänger. Zeig uns einfach die Pumpe und den
Tankeinfüllstutzen.«
Als hätte jemand auf einen
Aus-Knopf gedrückt, fiel der Schattenmann unvermittelt in eine Art Starre.
Widerspruch schien er nicht gewohnt zu sein. Plötzlich lag eine kleine Maglite
in seiner Hand, und ihr Strahl huschte über das Gesicht des Fragestellers.
»Keine Anfänger, eh?«, entgegnete
er kalt. Indigniert starrte er auf den Irokesenkamm, der den schwarzen, vor Gel
glänzenden Schopf seines Gegenübers krönte. »Dann betet zu Gott, dass heute
Nacht alles klappt, sonst möchte ich nicht in eurer Haut stecken, Freunde!«,
zischte er.
Die unverhohlene Drohung schien den
Irokesen nicht sonderlich zu beeindrucken. »Wenn du meinst! Bisher jedenfalls
haben wir unsere Jobs noch immer ohne göttlichen Beistand geschafft. Und jetzt
nimm endlich diese verdammte Funzel aus meinem Gesicht.«
Da ihm der Schattenmann nicht schnell
genug reagierte, schlug er kurzerhand dessen Arm nach unten. Als hätte er nur
darauf gewartet, schnellte unvermittelt die Rechte des Schattenmannes nach
vorn, umfasste das Handgelenk des Irokesen und presste es wie mit einem
Schraubstock zusammen.
»Mach das nie wieder«, zischte er.
Während der Irokese verzweifelt den
stählernen Griff zu lockern suchte, folgte sein klein gewachsener Partner
verwundert der Auseinandersetzung. Er war es denn auch, der den Koffer in
Sicherheit brachte, bevor dieser in dem wogenden Hin und Her vom Tisch zu
fallen drohte. Verblüfft wiegte er das Behältnis eine Weile in den Händen.
Schließlich hob er den Kopf und sah fragend auf den Schattenmann.
»Teufel noch mal, ist das Ding aber
schwer!« Der Argwohn in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Da endlich ließ der Schattenmann
seinen Gegner los, hastig riss er den Koffer an sich und trug ihn in die
Kabine, während der Irokese sein schmerzendes Handgelenk rieb.
Dem Kleingewachsenen schien der
Koffer noch immer keine Ruhe zu lassen. Unsicher grinsend entblößte er ein
lückenhaftes Gebiss. »Sind wohl Goldbarren drin?«, fragte er lauernd und
deutete auf den Koffer.
»So was Ähnliches. Euer Salär, wie
verlangt in kleinen Scheinen. Oder arbeitet ihr jetzt für Gotteslohn?«
Der Kleingewachsene verzog das
Gesicht. »Das hätteste wohl gerne«, sagte er und lachte meckernd, wurde jedoch
sofort wieder ernst. »Und wie kommen wir an den Code?« Trotz der Dunkelheit war
ihm das Zahlenschloss am Griff des Koffers nicht entgangen.
»Keine Sorge, den geb ich euch
telefonisch durch, sobald ihr eure Mission erledigt habt.«
Wenig später – der Schattenmann
war kaum von Bord gegangen – legte die Jacht endlich ab, nahm Fahrt auf und
wurde mit jeder Sekunde schneller, bis sie laut röhrend durch die
nachtschwarzen Wellen pflügte, nach Westen, in Richtung Überlingen. Die beiden
Männer duckten sich tief hinter die Windschutzscheibe, um möglichst wenig von
der feinen Gischt und dem eisigen Novemberwind abzubekommen. Kaum schafften es
die beiden Wischerblätter, die Scheibe frei zu halten.
Auf der rechten Seite zogen die
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