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Die morawische Nacht

Die morawische Nacht

Titel: Die morawische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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eine Ankunft auf die andere folgte, pausenloser Szenenwechsel, der eine Bus, leer ab in die Remise, und schon die Einfahrt, oder der Auftritt des nächsten, vollen. Auch bot jeder Bus ein anderes Bild, einmal schon, was die Marke oder Bauart, das Alter, die Farben betraf, oder, versteht sich bei dem in Europa einzigartigen Vielvölkerland seit jeher, selbst oder gerade in seiner Geschrumpftheit, die Unterschiedlichkeit der von Bus zu Bus aussteigenden Passagiere – ein anderes Bild freilich sozusagen in erster Linie an den Fensterscheiben, und ein besonders klares da, nachdem alles ausgestiegen war, in dem kurzen Augenblick, bevor der geleerte Bus aus dem Bild fuhr. Die Sonne, indem sie durch das leere Gehäuse schien, verdeutlichte dabei das Fensterglas und konturierte die von der Fahrt daraufgebliebenen Spuren. Busscheiben ohne Spuren, oder mit alten, vielleicht wochen- oder monatealten Spuren, verkrusteten, verhärteten, hätten an eine Fahrt von unweit, bloß aus einem der Vororte, denken lassen. Aber solche Busse fuhren da nie vor. Alle die Busse, samt den Scheiben, waren spürbar vor Fahrtantritt gewaschen worden, und die Spuren am Glas waren ohne Ausnahme frisch, rührten allein von der jeweiligen, jetzt an ihr Ziel gekommenen Fahrt. Und alle die Fahrten hatten mehr oder weniger lange gedauert. Frisch waren die Spuren, das war ihre Gemeinsamkeit, und wie aber waren sie ansonsten verschieden. Wie verschieden beatmet die Busfenster allein schon: Das da ein Kinderatem, das dort ein Altenatem. Schlafatem. Angstatem. Schauensatem. Wutatem. Zager Atem. Verlassenheitsatem. Und an den einen Busscheiben in der Mehrzahl die Abdrücke der Nasen, im andern Bus mehr Stirnen, im dritten mehr Wangen, im vierten mehr Hände. Zu unterscheiden so auch, schon außen an den Scheiben, die Busse, die nur eine Tagesfahrt hinter sich hatten, von denen, welche die Nacht durchgefahren waren; die Busse aus den Bergländern von denen aus den Tiefebenen; die aus einer betauten Gegend von denen aus einer Regengegend; die aus einer Gewitter-mit-Hagel-Landschaft von denen, wo an den Fenstern am Morgen noch – das war zu sehen, es gab noch die Spuren – die Eisblumen geblüht hatten oder die angeweht worden waren von einem Schneesturm – auch dessen besondere Spuren, längst nach dem Flockenschmelzen, waren klar an die Busscheiben eingezeichnet, gleich wie die eines Sandsturms, eines Blütenschnees, einer Moskitowolke, eines Heuschreckenschwarms. Karten des Landes an den Busscheiben, anders detaillierte. Aber galten die? Ja, für den Augenblick, und noch eine Zeitlang darüber hinaus.
    Und so saß er dann im Bus zurück nach Porodin und an die Morawa. Aufgebrochen war er südwestwärts, zurückkehrte er aus dem Nordwesten. Der Kreis schloß sich. Schloß er sich? Der Bus heim in die Enklave, anders als an dem Morgen der Abfahrt, war beinahe leer. Trotzdem hatte sich ein Passagier hinten neben ihn gesetzt, so als suche er Gesellschaft. Er sprach dann aber nicht, sondern faltete eine Zeitung auf, und der Heimkehrer konnte, wie seit jeher, und gegen seinen Vorsatz, während der Reise keine Zeitung zu lesen, nicht anders als mit ihm mitlesen. Neue Päpste, neue Weltmeister, neue Staatsoberhäupter, neue Weltstars, neue Vulkane, neue Epidemien, ein neuer Planet, eine neue Weinsorte, ein neues Schmerzmittel, ein neues Zahlenrätsel: So lange war er also unterwegs gewesen? Mitten im Blatt auf einmal eine Überschrift mit seinem Namen: Es war ein Bericht, eingangs »Erzählung« genannt, über seine, des Ex-Autors, Rundreise, verfaßt von dem Journalisten und Schriftsteller mit dem schönen Namen Melchior. Der war dafür bekannt, daß er jeden seiner Artikel gleichzeitig in allen Ländern Europas publizierte, übersetzt in die jeweilige Landessprache, und so auch hier im Ex-Land, dessen, wie hieß das, führende Zeitungen ja längst in fremde Hände übergegangen waren. Der Sitznachbar blätterte zwar bald weiter, aber er hatte immerhin einen Großteil des Artikels lesen können, auch weil der in einer Sprache geschrieben war, worin fast auf einen Blick, im Überfliegen, alles klar wurde; Klartext, so hieß das wohl, wobei sich schon nach den ersten paar Sätzen ein Weiterlesen erübrigte – wo man überhaupt von vornherein seine Zeit nicht mit Lesen verplemperte. Und was sprang ihm so in die Augen? Daß er, bereits laut Überschrift, mit seiner Reise nur vor sich selber geflüchtet war. Daß er allein dem Abseitigen nachgegangen war. Daß er

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