Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
Vom Netzwerk:
und sie blätterte ihn durch, doch weil er nichts Wichtiges oder Interessantes zu enthalten schien, ließ sie ihn liegen und ging durch den Raum, um die Glastür zum Wintergarten zu öffnen. Der Gedanke, daß ihre geliebten Pflanzen vor Kälte oder Durst eingehen könnten, hatte sie in diesen letzten Tagen ein wenig beunruhigt, aber Mrs. Plackett hatte das ebensowenig vergessen wie alles andere. Die Erde in den Töpfen war feucht und schwer, die Blätter saftig und grün. Eine frühe Geranie trug eine Krone aus winzigen Knospen, und die Hyazinthen waren wenigstens sieben Zentimeter gewachsen. Hinter den Glasscheiben lag ihr winterlicher Garten, die blattlosen Bäume zeichneten sich wie schwarze Gerippe vor dem bleichen Himmel ab, doch zwischen den Moospolstern unter der Kastanie sah sie Schneeglöckchen und die ersten buttergelben Blüten des Winterlings.
    Sie verließ den Wintergarten, ging nach oben und wollte eigentlich auspacken, doch statt dessen gab sie sich dem seligen Gefühl hin, wieder zu Hause zu sein. Sie ging umher, öffnete Türen, betrat jedes Schlafzimmer, um durch jedes Fenster zu sehen, Möbel zu berühren, einen Vorhang glattzustreifen. Alles war so, wie es sein sollte. Nichts hatte sich geändert. Als sie wieder unten in der Küche war, nahm sie die Briefe und ging durch das Eßzimmer ins Wohnzimmer. Hier waren ihre kostbarsten Besitztümer, ihr Sekretär, ihre Blumen, ihre Bilder. Im Kamin war alles für ein Feuer bereitet. Sie riß ein Zündholz an und kniete sich hin, um es an das zusammengerollte Zeitungspapier zu halten. Eine Flamme züngelte, dann glommen die Kienspäne auf und begannen leise zu knistern. Sie legte Scheite auf, und die Flammen züngelten in den Abzug. Jetzt lebte das Haus wieder, und nun, da sie diese angenehme Arbeit hinter sich hatte, gab es keinen Vorwand mehr, ihre Kinder nicht anzurufen und ihnen zu sagen, was sie getan hatte.
    Aber welches der Kinder? Sie setzte sich in den Sessel und überlegte. Eigentlich Nancy. Sie war die Älteste, und sie war von der Vorstellung nicht abzubringen, sie sei uneingeschränkt für ihre Mutter verantwortlich. Aber Nancy würde entsetzt sein, sich furchtbar aufregen und ihr heftige Vorwürfe machen. Penelope hatte noch nicht die Kraft, mit Nancy fertig zu werden.
    Also Noel? Vielleicht sollte sie mit Noel reden, er war der Mann in der Familie. Aber bei der bloßen Vorstellung, Noel könne ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen, mußte sie unwillkürlich lächeln. »Noel, ich habe das Krankenhaus auf meine eigene Verantwortung hin verlassen und bin wieder zu Hause.« Eine Information, die er höchstwahrscheinlich mit einem »Oh?« quittieren würde. So tat Penelope das, was sie die ganze Zeit vorgehabt hatte. Sie nahm ab und wählte die Nummer von Olivias Büro in London. » Venus.« Das Mädchen in der Telefonzentrale schien den Namen der Zeitschrift zu singen. »Ich hätte gern Olivia Keeling gesprochen.«
    »Einen Augenblick bitte.« Penelope wartete. »Vorzimmer Miss Keeling.«
    Olivia an den Apparat zu bekommen, war ein bißchen so, als versuche man, mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu plaudern. »Ich möchte bitte Miss Keeling sprechen.«
    »Es tut mir leid, Miss Keeling ist gerade in einer Besprechung.«
    »Heißt das, daß sie im Konferenzzimmer sitzt, oder ist sie in ihrem Büro?«
    »Sie ist in ihrem Büro.« Die Sekretärin klang ungehalten, wie zu erwarten. »Aber sie hat Besuch.«
    »Nun, dann stören Sie sie bitte. Ich bin ihre Mutter, und es ist sehr wichtig.«
    » Es. es kann nicht warten?«
    »Nein, keine Sekunde«, sagte Penelope fest. »Aber ich werde sie nicht lange aufhalten.«
    »Sehr gut.«
    Wieder Warten. Dann endlich Olivia. »Mama!«
    »Entschuldige, daß ich dich störe.«
    »Mama, ist etwas nicht in Ordnung?«
    »Nein, im Gegenteil.«
    »Gott sei Dank. Rufst du aus dem Krankenhaus an?«
    »Nein, von zu Hause.«
    »Von zu Hause? Wann bist du nach Hause gekommen?«
    »Gerade eben. Gegen halb drei.«
    »Aber ich dachte, du müßtest noch mindestens eine Woche bleiben.«
    »Ja, das war auch so geplant, aber ich habe mich schrecklich gelangweilt, und es hat mich erschöpft. Ich habe nachts kein Auge zugetan, und neben mir lag eine alte Dame, die in einem fort geredet hat. Nein, nicht geredet. Gebrabbelt, das arme Ding. Also habe ich dem Arzt einfach gesagt, ich könne es keine Stunde länger aushalten, und dann habe ich meinen Koffer gepackt und bin gegangen.«
    »Du hast dich also selbst entlassen«,

Weitere Kostenlose Bücher