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Die Muschelsucher

Die Muschelsucher

Titel: Die Muschelsucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosamunde Pilcher
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sagte Olivia trocken. Es klang resigniert, aber kein bißchen überrascht.
    »Genau. Mir fehlt überhaupt nichts. Und ich habe mir ein schönes Taxi mit einem sehr netten Fahrer genommen, und er hat mich nach Hause gebracht.«
    »Hat der Arzt denn nicht protestiert?«
    »Doch, sehr laut sogar. Aber er konnte ja nicht viel dagegen machen. «
    »O Mama!« In Olivias Stimme vibrierte ein Lachen. »Wie unartig. Ich wollte am Wochenende hinunterkommen und dich im Krankenhaus besuchen. Du weißt schon, dir kiloweise Trauben mitbringen und dann alle selbst essen.«
    »Du könntest hierher kommen«, sagte Penelope, und dann wünschte sie, sie hätte es nicht gesagt. Vielleicht klang es einsam und sehnsüchtig, womöglich hörte es sich so an, als brauche sie Olivia, um Gesellschaft zu haben.
    »Hm. wenn es dir wirklich gut geht, würde ich es gerne noch etwas verschieben. Ich habe dieses Wochenende schrecklich viel zu tun. Hast du schon mit Nancy gesprochen, Mama?«
    »Nein. Ich habe daran gedacht, aber dann war es mir irgendwie zuviel. Du weißt ja, wie umständlich sie immer ist. Ich werde sie morgen früh anrufen, wenn Mrs. Plackett hier ist und alles wieder seinen normalen Gang geht. Ich möchte auf jeden Fall verhindern, daß ich wieder abtransportiert werde.«
    »Wie fühlst du dich? Ich meine, wirklich?«
    »Sehr gut. Nur ein bißchen müde, wie ich schon sagte.«
    »Du wirst doch nicht zuviel tun? Ich meine, du wirst nicht sofort in den Garten laufen und anfangen, Beete umzugraben oder Bäume zu versetzen?«
    »Nein, ich verspreche es. Außerdem ist sowieso alles noch steinhart gefroren. Man könnte keinen Spaten in die Erde bekommen.«
    »Gott sei Dank. Wenigstens etwas. Mama, ich muß jetzt Schluß machen. Ich habe gerade eine Kollegin bei mir.«
    »Ich weiß. Deine Sekretärin hat es mir gesagt. Entschuldige, daß ich dich gestört habe, aber ich wollte, daß du Bescheid weißt.«
    »Ich bin froh, daß du es getan hast. Halt mich auf dem laufenden, und gönn dir ein bißchen Ruhe.«
    »Das werde ich. Auf Wiedersehen, Liebling.«
    »Auf Wiedersehen, Mama.«
    Sie legte auf, stellte den Apparat wieder auf den Tisch und lehnte sich zurück.
    Jetzt hatte sie fürs erste alles erledigt. Sie spürte, daß sie wirklich sehr müde war, aber es war eine angenehme Müdigkeit, gemildert
    und versüßt durch ihre Umgebung, als wäre das Haus ein freundliches Wesen, das sie liebevoll in die Arme schloß. Sie spürte in dem warmen, vom Feuerschein beleuchteten Zimmer, wie sie von jenem grundlosen Glücksgefühl überrascht wurde, das sie seit Jahren nicht mehr gekannt hatte. Es ist, weil ich lebe. Ich bin vierundsechzig und habe, wenn man diesen idiotischen Ärzten glauben kann, einen Herzanfall gehabt. Etwas in der Richtung. Ich habe es überlebt, und ich werde es in irgendeine Schublade tun und nie wieder darüber sprechen oder daran denken. Weil ich lebe. Ich kann fühlen, alles berühren, sehen, hören, riechen; ich kann allein zurechtkommen, das Krankenhaus aus eigenem Willen verlassen, mir ein Taxi bestellen und nach Hause fahren. Im Garten kommen die ersten Schneeglöckchen, und es wird bald Frühling. Ich werde ihn erleben. Das alljährliche Wunder beobachten und fühlen, wie die Sonne von Woche zu Woche wärmer wird. Und weil ich lebe, werde ich all das sehen und ein Teil des Wunders sein. Sie erinnerte sich an die Geschichte über Maurice Chevalier. Wie ist es, wenn man siebzig ist? hatte ein Reporter ihn gefragt. Nicht übel, hatte er geantwortet. Wenn man die Alternative bedenkt. Aber Penelope Keeling fühlte sich nicht nur nicht übel, sie fühlte sich tausendmal besser. Das Leben war auf einmal nicht mehr die bloße Existenz, die man als selbstverständlich betrachtet, sondern etwas darüber hinaus, ein Geschenk, das jeden Tag, der einem gegeben wurde, ausgekostet werden mußte. Die Zeit dauerte nicht ewig. Ich werde keinen einzigen Moment verschwenden, versprach sie sich. Sie hatte sich noch nie so stark und optimistisch gefühlt. Als ob sie wieder jung sei und noch einmal von vorn anfinge, und als ob jeden Augenblick etwas Wunderbares geschehen könne.

Manchmal hatte sie den Eindruck, daß sie, Nancy Chamberlain, dazu verdammt sei, selbst bei der einfachsten, harmlosesten Beschäftigung über kurz oder lang unweigerlich an schier unüberwindliche Hindernisse zu stoßen.
    Zum Beispiel heute morgen. Ein x-beliebiger Tag Mitte März. Alles, was sie tat. alles, was sie vorhatte. war, um Viertel nach neun den Zug von

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