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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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Pedal. Trotzdem schaute ich mich erstmal im Saal um, ob ich auch wirklich die einzige Kamera war, bevor ich zu begreifen begann, was ich da eben aufgenommen hatte. Es funktionierte exakt so, wie mir Gerd immer eingebläut hatte: Man holt sich die Dinge ganz nah ran und hält sie gleichzeitig fern. Du bist dabei und doch wieder nicht. Die Distanz des Chronisten, echt krass.
    Wohl eher ein typisches Symptom für menschliche Verwahrlosung: Erst die Pflicht, der Auftrag, die Sache und dann - ja was eigentlich? Als wenn ich das wüsste? Ausgerechnet ich!
    Immerhin war ich noch nicht ganz so weit heruntergekommen und dachte zuerst an die alte von Jagemann. Sie hatte die Schüsse womöglich auch gehört, war vielleicht noch in den Saal geschlüpft, hatte alles mit ansehen müssen und würde ihren Fritz nun doch erst tot wieder in die Arme schließen können.
    Machte das einen Unterschied nach über 60 Jahren? Wo hatte sich Wolf verkrochen, während sich das Drama seiner Familie fortsetzte? Auf dem Weg zum Hinterausgang fragte ich mich sogar, wieso ich seine Schwester unbedingt vor der blutigen Wahrheit bewahren wollte, nachdem sie die Lügen selbst Jahrzehnte mitgetragen hatte. Wieso war ich überhaupt ständig damit beschäftigt, Leute vor irgendwas zu bewahren?
    Mehrere Dutzend Historiker verstopften den Ausgang, als mich jemand von hinten berührte.
    »Da laufen sie plötzlich vor ihrer Geschichte davon.«
    Sprüche, Kalauer, ich weiß schon: Anders wissen sich Kerle keinen Rat, wenn es ans Eingemachte geht. Trotzdem hörte sich das fast an, als hättest du plötzlich angefangen, im Großen und Ganzen zu denken. Und als wir es ins Freie geschafft hatten, warst du es auch, der Liesbeth zuerst entdeckte. Sie saß in einer Limousine auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Zwei Leibwächter hampelten um den Wagen herum und versuchten die Übersicht zu behalten, während immer mehr Menschen aus der Halle strömten. Hinter den Autoscheiben redete jemand auf die alte Dame ein. An seinen ausladenden Gesten erkannte ich ihn sofort. Seine Schwester hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. Und ich war mir auch nicht sicher, ob ich ihm zuerst mein Beileid ausdrücken konnte, bevor ich - ja, was eigentlich?
    Ohne genau zu wissen, was ich ihm antun würde, hatte ich die halbe Straße schon überquert, als ein Krankenwagen aus der Tiefgarage des Kongresszentrums geschossen kam. Wolfs Leibwächter sprangen sofort in ihren Wagen und hängten sich mit quietschenden Reifen dran. Zwei weitere Limousinen folgten, dann noch ein Rettungswagen, alle mit Blaulicht. Ihre Richtung konnten wir nur ahnen: Charite vielleicht, aber bis wir am Van waren, hätten sie überall sein können.
    »Glaubst du, er überlebt das?«
    »Nein«, sagte ich, »die Frage ist sogar, ob er überhaupt je gelebt hat.«
    »Du meinst, sie werden alles vertuschen?«
    Das auch. Aber ich hatte natürlich sein verplempertes Leben gemeint, während du offenbar immer noch auf diesem komischen Journalistentrip warst. Doch dein Fluchen und Hupen nutzte alles nichts. Im Stau Unter den Linden verloren wir mindestens eine weitere halbe Stunde, bevor wir eine der Limousinen vor der Charite wiedersahen. Der Fahrer stritt sich gerade mit einem Arzt um den Platz auf der Rampe für Rettungsfahrzeuge. Du warst dabei, genauso kriminell in der zweiten Reihe zu parken, als es prompt auch bei uns heftig an die Scheibe klopfte.
    Deine junge Kollegin sah ganz schön zornig aus:
    »Hab ich’s doch gewusst«, schrie sie, »du wolltest mich abkochen, aber nicht mit mir, mein Lieber!«
    Ich hätte schon gern gewusst, was sie gewusst haben wollte - nur du leider nicht. In welcher Etage die anderen seien, war allerdings auch keine so schlechte Gegenfrage bei mindestens 20 Stockwerken. Davon wollte sie jedoch wiederum nichts wissen.
    »Was soll der Scheiß? Welche anderen? Spinnst du?!«
    Nach allem, was ich mitbekam, wart ihr wohl hier verabredet und beide früher da. Sie hatte einen Kameramann dabei, der mit ein paar jungen Ärzten um einen Aschenbecher stand. Und so beleidigt, wie sie dich anpflaumte, »mein Lieber« - vor allem aber, wie kleinlaut du reagiert hast, konnte man fast denken, ihr hättet mal was miteinander gehabt. Aber lass mal, das kenn ich auch!
    »Das verstehst du völlig falsch«, waren deine Worte, »wir sind nicht wegen Gerd hier. Er hat noch nicht mal angerufen ...«
    »Es geht ihm gut«, sagte sie, »aber angeblich will er nicht mit mir reden. Da steckst du doch auch

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