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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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kannst du laut sagen: Wie ein Gespenst schwebte er vor dem Kongresszentrum durch die Polizeiketten, musste weder drängeln noch Ausweise zücken. Allein seine Uniform und die Selbstverständlichkeit, mit der er sie trug, ließen alle Leute vor ihm strammstehen. Sogar das Geschrei von Gegendemonstranten und Gegen-Gegendemonstranten verstummte für ein paar Sekunden. Niemand wusste so recht, was der SS-Mann zu bedeuten hatte. War er nun für oder gegen die Ausstellung? Wofür oder wogegen war man eigentlich selbst? Fritz stellte alles in Frage.
    Die Verblüffung der Einlasskräfte reichte sogar noch für mich, und ich folgte ihm quer durch das Foyer bis in den Saal, wo sich hunderte Wissenschaftler gerade ihre Plätze suchten. Alle reckten ihre Hälse dabei, um auch ja nicht übersehen zu werden. Es war ein Schaulaufen wie in einer Angeber-Diskothek. Fritz aber überragte alle. Aufrecht und selbstbewusst bahnte er sich seinen Weg, während mir plötzlich niemand mehr einen Meter schenkte.
    Um mir Respekt zu verschaffen, schulterte ich die Kamera, was sich jedoch als schwerer Fehler erwies: Nun stellten sich diese Leute erst recht in den Weg und spreizten ihre ungelenken Wissenschaftlerkörper, als wären sie selbst die Sensation. Den SS-Mann nahmen sie zwar auch wohlwollend wahr, aber hielten ihn wohl eher für einen Gag der Veranstalter. Manche lächelten anerkennend: Diese Deutschen waren doch immer noch für eine Überraschung gut.
    Als Fritz die Bühne betrat, flaute das Gemurmel langsam ab. Professor Zeitz, der noch einmal die Papiere für seine Begrüßungsansprache auf dem Rednerpult sortierte, sah irritiert auf. Am Bühnenrand flüsterten ein paar von deinen Leuten aufgeregt in ihre Ärmel. Doch Fritz hatte längst zu viel Aufsehen erregt, um ihn unauffällig verschwinden zu lassen. Sichtlich nervös trat ihm Professor Zeitz entgegen. Man hörte seine Schuhe quietschen, so still war es auf einmal im Saal.
    »Kann ich Ihnen helfen, Herr ...?«
    »Jagemann«, antwortete Fritz, »Fritz von Jagemann - nein, ich glaube das können Sie nicht.«
    Jemand begann zu klatschen. Es kam aus der linken, hinteren Ecke, von mir aus gesehen. Auch Fritz suchte mit den Augen nach dem Störenfried, blieb kurz bei mir hängen, und ich hoffte, er würde nicht zu lange in die Kamera schauen, weil das hinterher immer so gestellt aussah. Inzwischen waren mindestens zehn Kongressteilnehmer auf den Vorklatscher hereingefallen, und mit jedem Handschlag wurden es mehr.
    Nichts ist ansteckender als Applaus, Gelächter vielleicht noch oder Schnupfen, aber selbst bei Witzen oder Viren sind die meisten Leute wählerischer. Mit Beifall dagegen ist es wie auf der Tanzfläche: Entweder du kriegst keinen oder alle. Hast du sie erst mal, kannst du beliebig große Massen aufputschen oder runterholen, die Nacht zum Tag machen oder Weltkriege anzetteln. Denn ob Beats marschieren oder Stiefel, ob sie klatschen oder trampeln: Wenn die Mehrheit mitmacht, hat das meist auch für den Rest seine Richtigkeit. Und dann wird es fast immer gefährlich.
    Am Mischpult kann man notfalls das Tempo rausnehmen. Manche Veranstalter verlangen das sogar, weil ihre Clubs ein paar hundert Beine im Gleichschritt nicht aushalten. Schwingungskatastrophe nennt das die Physik, wenn sich gleiche Frequenzen aufschaukeln, bis es kein Halten mehr gibt. Und soll ich dir was sagen, Evelyn: Ungefähr so stelle ich mir das auch unter MC Adolf vor. Er war ein Master of Ceremonies ohne jeden Funken Verantwortung. Move the Crowd um jeden Preis - verstehst du? Ich will nicht sagen, dass er nur ein paar Engtanznummern hätte auflegen müssen. Aber heute hätten es Typen wie er auf dem Dancefloor der Weltgeschichte sicher noch leichter, weil die Leute dank moderner Drogen praktisch nie müde werden. Das ist es, was ewigen Sorgenfalten wie dir, Evelyn, keine Ruhe lässt, hab ich Recht? Es fängt mit einem Klatscher an und hinterher kann man plötzlich niemand mehr erklären, wieso eine SS-Uniform solche Beifallsstürme auslöst.
    Fritz verzog keine Miene. Nur seine Augen verrieten eine gewisse Beklemmung. Sein Blick irrte kreuz und quer über die Bühne, dann wieder zu seinem tobenden Publikum. Eine Rückkopplung quietschte auf. Die Tontechnik war wohl davon ausgegangen, Fritz wollte gleich etwas sagen, doch Professor Zeitz deutete mit einem Kopfschütteln an, dass dieser Mann nicht Teil seiner Inszenierung war. Dann besann er sich jedoch anders, lächelte wie ein Showmaster und teilte den

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