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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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Beifall redlich mit Fritz.
    »Danke«, sagte er, sonnte sich noch ein paar Sekunden mit gesenktem Kopf und räusperte sich schließlich so oft, bis man ihm absolute Stille entgegen brachte.
    Danach begrüßte Zeitz seine »geschätzten Kollegen« und war gerade dabei, sich selbst »glücklich zu schätzen, Ihnen einen Zeitzeugen vorstellen zu dürfen«, als Fritz sich unvermittelt von ihm abwandte. Er hatte offensichtlich keine Lust, vorgeführt zu werden und lief stattdessen zielstrebig zum linken Bühnenrand, wo er begann, den schwarzen Vorhang abzutasten, als suchte er ein Versteck oder wenigstens einen Ausweg. Zeitz lächelte hilflos vom Podium, was ein paar seiner Kollegen zu einem neuen Schwall Beifall ermunterte. Dann kreischte plötzlich eine Frau hysterisch auf, und du musst es nicht abstreiten, Evelyn - so viele andere Frauen waren nicht da. Wie ein Groupie hast du geschrien und dich gleichzeitig einem deiner Kollegen in die Arme geworfen.
    Das war Elber, der alte Nazi. Er hatte plötzlich seine Waffe in der Hand - und falls das irgendwann mal untersucht wird: Ich habe genau gesehen, dass er zuerst gezogen hat.
    Erst nachdem er mich abgeschüttelt hatte, entsicherten noch mehr Kollegen ihre Dienstpistolen, und die ersten Reihen im Saal rückten mit einem Raunen von uns ab. Wie bei einer La Ola im Stadion rollte die Schockwelle durch den Saal. Sogar Fritz von Jageman ließ den Vorhang los und blinzelte verwirrt in die Scheinwerfer. Wahrscheinlich konnte er im Gegenlicht nicht mal sehen, was vor der Bühne passierte. Auf jeden Fall aber, das könnte ich im Zweifel auch beschwören, hat er niemanden bedroht.
    Zeitz dagegen hob beschwichtigend die Hände, zitterte am ganzen Körper und tastete sich in kleinen Schritten zum Bühnenrand vor. Mit dem ersten Schritt ins Leere verlor er das Gleichgewicht und fiel steif nach vorn. Bei Rockkonzerten - damit du weißt, dass ich auch nicht von gestern bin, Benny - nennt man das Stage-Diving. Nur dass niemand da war, der Zeitz auffing.
    Schade. Das mit Zeitz hätte ich auch gern gehabt, aber ich war natürlich mit der Kamera bei Fritz geblieben und muss dir leider sagen, dass du nicht ganz richtig liegst mit deinen Schwüren: In seinem Gesicht konnte man sehen, dass er die Situation ganz genau begriffen hatte. Doch statt jede falsche Bewegung zu vermeiden, zog Fritz seine Uniformjacke straff, die bei der Arbeit am Vorhang etwas aus dem Koppel gerutscht war, sah noch einmal aufreizend lange ins Publikum, um schließlich mit einem plötzlichen Ruck nach seiner Pistolentasche zu greifen, die er am Koppel trug. Es war Absicht. So blöd konnte man gar nicht sein. Und natürlich verloren deine Leute sofort die Nerven.
    Drei oder vier Polizisten in Zivil hatten fast gleichzeitig abgedrückt. Die versammelte Wissenschaft warf sich in Deckung und auch mir fiel es einigermaßen schwer, nicht alles zu verwackeln. Fritz stolperte rückwärts, verhedderte sich im Vorhang, hielt sich daran fest und fing sich noch einmal, während der schwere Stoff hinter ihm zu Boden ging. Mit der rechten Hand tastete er seine Brust ab, berührte seine linke Schulter und anders als im Kino sah man weder Einschüsse noch sprudelte sofort Blut. Sein Gesicht wirkte wie eingefroren, fast enttäuscht: Zweifellos hatte er sich das auch anders vorgestellt. Nach seinem ganzen Leben hatten sie ihm nun auch noch das selbst gewählte Ende versaut.
    Er taumelte noch ein paar Schritte und stützte sich dann mit dem unverletzten Arm auf eine große verhüllte Kiste, die etwa zwei Meter hinter dem Vorhang aufgetaucht war. Dort ruhte er sich drei Sekunden aus, als wollte er mir Gelegenheit für einen Sprung in die Nahaufnahme geben, bevor sich sein Körper noch einmal straffte und er versuchte, die Kiste von ihrer Hülle zu befreien. Er schaffte es nicht ganz.
    Der halb entblößte Flügel glänzte schwarz im Scheinwerferlicht. Fritz hangelte sich daran vorwärts, und als er endlich auf dem Hocker am anderen Ende saß, konnte ihn jeder im Saal schwer rasselnd nach Luft schnappen hören. Mit seinem unverletzten Arm stellte er umständlich die richtige Höhe des Hockers ein, klappte den Deckel auf und hob seine schlaffe linke Hand auf die Tasten. Doch gleich der erste Akkord, den er anschlug, löste sich in wüste Dissonanzen auf, weil sein Oberkörper nach vorn gesunken war.
    Die schrägen Töne hallten lange nach, wahrscheinlich bekomme ich sie sogar nie wieder aus den Ohren, als stünde Fritz immer noch auf dem

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