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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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geht, so vermute ich begründet, nicht um eine Schwäche der Währungen, sondern um die Annullierung aller nicht materiell vorweisbaren und tauschbaren Werte. Halten Sie Ihre silbernen Löffel fest! Die sind bald mehr wert als Ihre YPM/PLUM-Anteile an der Vision-Holding . Das stetige Ansteigen des Goldpreises kann ja sogar ein Laie wie ich deuten. Noch ist es nicht so weit, aber die Suizide lassen sich schon hochrechnen. Ich kann Ihnen, wie gesagt, nicht in wenigen Sätzen antworten, wie ein Journalist es gewiss könnte, der Ihnen seine Antwort in Ihr Terminal oder per Email übermitteln würde. Da Sie selbst den schönen alten Postweg gewählt haben, um elektronischen Jägern zu entgehen, werden Sie auch zu würdigen wissen, dass Geschichten Zeit, Gedanken, Raum brauchen. Sie sind der Einzige, dem ich die befremdlichen Wege nachzeichnen werde, die einen friedfertigen Menschen wie mich in konspirative und terroristische Kreise führten, und Sie haben folglich die Aufgabe, mein Gewissen zu entlasten. Ich bin wohl, wenn mich nicht alles trügt, trotz all meiner Bemühung nicht unschuldig daran, dass die große Konfusion der Banken und Börsen unser aller Leben zurückwerfen wird auf den Tauschhandel mit greifbaren Dingen. Das Ende des Geldes – welch ein erlösendes, welch ein schreckliches Wort! Auch muss ich mich erzählend selbst vergewissern: Wenn mich mein Eindruck nicht trügt, wird mir nun endlich die Erklärung zuteil, nach der ich seinerzeit – am Anfang der Geschichte, die ich Ihnen erzählen werde – vergeblich gesucht hatte. Durch Ihre Frage wird mir – Vorsicht, sage ich mir selbst, keine zu schnellen Schlüsse! – auf einmal klar, warum ich damals … Aber ich will nicht vorgreifen. Wie gern ich Ihren Brief gelesen habe! (Besonders war ich von Ihrer Formulierung gerührt: »Die Frage, ob wir nicht nach einer solchen Katastrophe glücklicher sein würden als zuvor, verbietet sich angesichts des Schreckens, den es bedeuten würde, sich in ihr zu befinden.«) Ich werde Ihnen also in den nächsten Wochen an meinem kleinen, runden Marmortisch auf der Terrasse oder, wenn es zu kalt sein sollte, in meiner Küche schreiben und die Briefe auf die Post nach Dolcedo tragen, so, als sei alles wie immer oder wie früher. Tun wir noch ein Weilchen so, als hätten die schönen Zeiten Bestand, in denen wir wussten, dass ein Dollar ein Dollar und ein Apfel ein Apfel ist, und ein Einfall ein Einfall. Zunächst kann ich Ihnen mitteilen, dass Ihre Vermutung zutrifft: Ich bin ziemlich sicher, die Ursache der Störung zu kennen, die das filigrane Gebäude des Geldes derzeit erschüttert. Es gibt, wie Sie schreiben – und diese Ihre Vermutung nachzuvollziehen fällt mir nicht schwer – zu viele, die sich bereichern; nur haben diese ein starkes Interesse am Erhalt der empfindlichen Balance des Geldes. Sie sind mit ihrer amoralischen Habgier die Verursacher und Beschleuniger, nicht aber die Vollender des Untergangs. Wer wirklich das apokalyptische Beben erzeugt, das Banken und Börsen implodieren, die Zivilisation der Zahlmeister untergehen ließe und die vielen Menschen, die buchstäblich aus Geld bestehen, der Vernichtung aussetzte – wer dies will, der, lieber Freund, bereichert sich nicht. Er denkt nicht in Renditen. Er hat eine zerstörerische Vision. Ich kannte nur einen , der die Welt des Geldes mit solchem Hass verfolgte. Jenen einen, der sich die Wirklichkeit unserer Erde zu retten vorgenommen und sich deshalb zum Verfolger aller fiktiven Welten erhoben hatte. Leider ist er selbst nicht mehr greifbar. Doch nun beginnt er zu siegen – auf eine ebenso einfache wie raffinierte Weise … Sind wir uns einig? Geld meinte Dinge und veränderte sie. Geld meinte Schönheit, Zeit, Macht, Liebe. So entstand mit der Erfindung des Geldes eine zweite Welt, die sich zur Bedeutung der ersten erklärte. Hätten wir je die virtuellen Welten in unseren Computern erzeugt, wenn wir am Geld nicht gelernt hätten, dem Reiz fiktiven Lebens nachzugeben und zu glauben, dass wir in einem Päckchen großer Dollar-scheine tatsächlich unsere Zukunft in der Hand halten? Dass aber solchem Gewinn an Verwandlung ein Verlust gegenübersteht? Was ein Dach wert ist, wissen wir nicht mehr, wenn wir nur noch fragen, was es kostet.
    Ich will Sie nicht in die Spiralen rückwärts gewandter Spekulationen verwickeln, während die Zeit drängt. Sie haben mich ja nicht aus Sorge um Ihren eigenen Reichtum um meine Hilfe gebeten. Und Sie mussten doch aus

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