Ein leises boeses Fluestern
I
Max liebte das Haus mit seinen kühlen, ruhigen Winkeln. Es war ein gutes Gefühl, im länger werdenden Schatten der alten Mauern zu sitzen und Clarissa zuzusehen, die sich im Maisonnenschein badete.
Clarissa lief über den Ziegelweg an die efeuumrankte Fliegendrahttür und blickte in die Küche.
»Louise«, rief das Kind, »wann kommen sie denn?«
»Bald«, antwortete eine Stimme von drinnen. »Du mußt noch etwas Geduld haben.«
Clarissa stieg die breiten Stufen zu der rückwärtigen Veranda empor. Sie betrachtete die blaugestrichene Holzdecke und das fächerförmige Fenster über der Tür, dann ließ sie den alten Messingklopfer gegen die Türfüllung donnern. Und noch einmal.
Max durchrieselte es angenehm von dem vibrierenden Ton. Er lachte und winkte ihr von der Zufahrt her zu.
»Sie kommen nicht«, schrie sie. »Du glaubst, sie würden kommen? Du bist ja dumm! Du weißt gar nichts!«
Sie lief ins Wohnzimmer, das aus zwei weiten Räumen mit einer Schiebetür dazwischen bestand. Die Tür war auf. Sonnenstrahlen drangen durch die Fenster und wurden von der hohen Decke zurückgeworfen. Clarissa ließ ihre Finger über die Tasten des Spinetts gleiten. »Niemand wird kommen«, flüsterte sie, verließ das Wohnzimmer, durchquerte die Diele und verschwand in ihrem Schlafzimmer.
Seit dem ersten Weihnachtsfest hier war Clarissa dem Zauber des Hauses verfallen. Wie schön war es, wenn im Winter die Sonne unerwartet durch die Wolken brach und die alten Eichen, deren Zweige an die Schlafzimmerfenster im zweiten Stock klopften, aus ihren Strahlen zitternde Schattenmuster zauberten! Am meisten liebte sie ihr eigenes Zimmer, dessen große Fenster auf die hintere Veranda hinausgingen. Sie erinnerte sich an eine Schneenacht im Februar, als sie im Bett lag und mit Entzücken unten am Fluß einen Zug vorbeifahren hörte, der das Haus beben und die Fensterscheiben klirren ließ. Der Mond warf sein Abbild auf die Spiegeltür, die in das Schlafzimmer ihrer Eltern führte. Angst hatte sie nachts nie gehabt. Das Haus jagte ihr keinen Schrecken ein. Bald nach dem Zug war sie glücklich eingeschlafen.
Das Haus war im Jahre 1826 von einem Flußschiffkapitän für seine junge zukünftige Frau erbaut worden. Am Tag vor der Hochzeit lief die Braut mit einem anderen Mann davon. In seiner Verzweiflung ließ der Kapitän das Haus verschließen, und es blieb fünfunddreißig Jahre lang bis zum Tod des Kapitäns unbewohnt. Dann wurde es an eine Familie mit zwei Kindern, einem Mädchen und einem Jungen, verkauft. Es hatte eine Reihe weiterer Eigentümer, bis Clarissas Eltern das Haus samt einer von den zweiten Besitzern errichteten Remise erwarben.
Das Haus lag auf einem Hügel über dem Fluß, den man von den beiden rückwärtigen Veranden aus über gestutzte Eibenhecken hinweg sehen konnte. Über eine Außentreppe und diese Veranden kam man in das große Wohnzimmer mit der Schiebetür, Clarissas Zimmer und das Schlafzimmer ihrer Eltern. Die Front aus Steinen und weißen Balken blickte auf eine lange Zufahrt, die zur Straße führte. Von dort aus wirkte das Haus mit seinen beiden weißen Säulen, die sich auf den Stufen zur Vorderveranda erhoben, täuschend klein. Küche und Anrichte, in den Hang hineingebaut, wurden von blühendem Berglorbeer und Rhododendren teilweise verdeckt. Speise- und Arbeitszimmer im Erdgeschoß öffneten sich auf die untere Hinterveranda und einen prächtigen steinernen Fischteich im Garten.
Clarissa warf ihren rosa Pullover auf das Bett und stieg die Treppe hinab in die ländliche Küche, wo Louise am Spülstein saß und Äpfel schälte.
»Wie spät ist es? Müßten sie nicht schon längst hier sein?«
»Laß man«, antwortete Louise. »Wenn es eine Party gibt, bleiben Kinder nie weg.« Sie schnitzelte die Äpfel in eine gelbe Schüssel und spülte sich die Hände unter dem Wasserhahn ab.
»Sie werden nicht kommen«, behauptete Clarissa. »Sie mögen das Haus nicht.«
»Unsinn.« Louise drückte das Mädchen und küßte es auf die glatte Stirn. »Das ist ein Kuß zu deinem dreizehnten Geburtstag. Nun lauf, sie werden gleich da sein. Es ist beinahe halb drei.« Sie steckte Clarissa ein paar Apfelstücke zu.
Clarissa ging durch das Speisezimmer an die Hintertür. Der rote Ziegelfußboden der unteren Veranda fühlte sich kühl unter ihren Füßen an. Sie erschauerte. Im Schatten stehend, beobachtete sie Max, der auf dem Rasen Tische und Stühle aufstellte. Sie sah es so gern, wenn er mit
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