Die Nacht des schwarzen Zaubers
…«
»Ich weiß es, Alex.«
Sein Kopf schnellte hoch. »Was weißt du?«
»Volkers Krankheit.«
»Seit … seit wann?«
»Seit einer Woche. Der Oberarzt hat es mir gesagt.«
»Dir? Und warum mir nicht?«
»Er hat deine Augen gesehen, Alex. Ich sollte es dir schonend beibringen, aber ich hatte noch keinen Mut dazu.«
»Du hast es die ganze Zeit gewußt? Mein Gott, Marga!« Er lief zu ihr, und da begann sie zu weinen. Sie lehnte den Kopf an seine Brust und klammerte sich an ihn. »Ich hatte Angst«, sagte sie dabei, »du könntest einen Schlag bekommen.«
Sie hat Angst um mich, dachte er. Sie hat das grauenvolle Wissen mit sich herumgetragen, und keiner hat es gemerkt. Woher nimmt sie bloß diese Kraft? Gott im Himmel, welch eine wundervolle Frau ist sie!
»Was nun?« fragte sie und hielt ihn fest umschlungen.
»Wir werden unser Leben völlig ändern«, sagte er stockend. »Weg aus dieser hektischen, gnadenlosen Welt.«
»Sie ist überall gnadenlos, Alex. Überall.«
»Vielleicht finden wir unser eigenes Paradies, von dem der Junge träumt.«
»Und wo er sterben wird …« Er drückte ihren Kopf an seine Brust und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Und beide weinten sie, ihrer grenzenlosen Hilflosigkeit preisgegeben.
Die Abwicklung aller Geschäfte und die Auflösung des Haushaltes beanspruchten nur zwei Monate. Baumann verpachtete seine Exportfirma an eine Gesellschaft, und er ertrug es stillschweigend, daß ihn alle, Freunde wie Geschäftspartner, für verrückt hielten. Auch Dr. Oberfeld sagte: »Das ist Idiotie im Quadrat! Die Seychellen! Nachher vielleicht sogar die Galapagos-Inseln, was?«
»Wenn es Volker Freude macht.«
»Damit hältst du die Krankheit nicht auf!«
»Kannst du sie aufhalten, Franz?« fragte Baumann.
»Die Strapazen aktivieren die Krankheit!«
»Freude, Lebensfreude ist besser als jede Injektion!« sagte Baumann. Er sagte es so, daß es dagegen kein Argument mehr gab. Freund Oberfeld kapitulierte vor dieser ihm unerklärlichen Euphorie. Er kannte Volkers Blutbild, und wenn er sich bemühte, nicht ausschließlich ärztlich zu denken, konnte er sogar Baumann verstehen, so unlogisch das auch war.
Mitte September stand die Familie Baumann in Rotterdam vor dem hohen stählernen Leib des Schiffes Öresund. Die Koffer waren schon an Bord, in zwei Stunden legte das Schiff ab, die Gangway klapperte, weil das Schiff träge im brackigen Hafenwasser schwankte. Noch zwei Stunden, dann blieb ein halbes Leben zurück, wurde Erinnerung und stille Wehmut, und es begann das Neue, das Unbekannte, die große Hoffnung.
Titus Hansen hatte die Freunde begleitet und stand nun mit ihnen vor dem hohen Schiffsleib. Volker hockte auf einem stählernen Poller und sah den Kränen zu, die immer noch Container in die Öresund hoben. Man sah es ihm an: Er war der glücklichste Junge der Welt.
»Ich werde vor euch auf Mahé sein«, sagte Hansen. »Ich fliege in zehn Tagen hinüber und bereite den Gouverneur auf euren Blödsinn vor. Vielleicht empfängt man euch in Victoria mit einer Kapelle und fähnchenschwenkenden Kindern. Und nun geht endlich an Bord! Abschiednehmen ist etwas Greuliches.«
Alex Baumann nickte. Er legte den Arm um Margas Hüfte und den anderen um Claudia. Volker stand von seinem Poller auf.
»Gehen wir!« sagte Baumann fest. »Du wirst dich wundern, Titus! Mit dieser fabelhaften Familie kann man tatsächlich Paradiese erobern.«
3
An Bord empfing sie der Kapitän der Öresund, als habe er die ganze Zeit auf der Lauer gelegen, um diese Familie kennenzulernen. In seiner Uniform mit den goldenen Litzen, dem weißen Kinnbart und dem wettergegerbten Gesicht sah Ralf Thorndson genauso aus, wie man sich einen Seemann vorstellt, der Dreiviertel seines Lebens auf dem Meer verbracht hat und der womöglich eines Tages in seiner Schiffskoje sterben würde. Hinter dem Kapitän stand ein Offizier, auf den Schulterstücken einen goldenen Äskulapstab. Der Schiffsarzt. Alex Baumann lächelte bitter. Titus Hansen hatte also bereits Alarm gegeben.
»Willkommen an Bord!« sagte Ralf Thorndson mit tiefer Stimme. Er begrüßte Marga mit einem Handkuß, schüttelte dann reihum die Hände und stellte den Schiffsarzt vor. »Dr. Bergström.«
»Ich weiß nicht, was alles man Ihnen von uns erzählt hat, meine Herren«, sagte Baumann, als zwei Stewards Marga, Claudia und Volker zu den Kabinen begleiteten und Baumann mit den Offizieren allein an der Reling stand. »Verrückte sind wir nicht. Auch keine
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