Die Nacht von Granada
verunstaltet.
Jetzt war auch Nuri nicht mehr zu halten. »Was macht denn das kranke Kätzchen in deiner Satteltasche?«, rief sie. »Was hast du mit ihm vor?«
Miguel zog die Schultern hoch. »In einem der Bergdörfer hatte sich der Kleine offenbar mit einem Stärkeren angelegt, der ihm ordentlich Respekt beigebracht hat. Ihn fiepend am Wegrand liegen lassen, das hab ich nicht übers Herz gebracht. Mal sehen, was mein Onkel zu ihm sagen wird! Verhungern wird er nicht bei uns, dafür werde ich schon sorgen.«
» Ein Kater? Wie heißt er?«, fragte Lucia, die ihre Hand nicht mehr von dem kleinen Kopf nehmen konnte: Der Kater schien die liebevolle Berührung zu genießen und schmiegte sich immer tiefer in die warme Mulde. Sie bil dete sich sogar ein, ihn leise schnurren zu hören.
» Woher soll ich das wissen?«, erwiderte Miguel. »Warum eigentlich nicht Fuego? Immerhin ist er ja rot wie Feuer!«
»Fuego « , murmelte Lucia. »Ja, das passt gut zu dir, mein Kleiner!«
Jetzt näherte sich auch Miguels Hand dem Tier und streifte ihre dabei für einen winzigen Augenblick.
Überrascht schaute sie hoch.
Aus der Nähe waren seine Augen beinahe golden. Wie der schwere Wein aus Jerez, den Papa im Winter manchmal trank, damit ihm wärmer wurde. Einmal hatte sie heimlich einen halben Becher davon stibitzt und sich anschließend ganz schwindelig und matt gefühlt.
Ganz ähnlich erging es ihr jetzt.
Jeden Morgen begann Goldschmied Antonio Álvarez mit seinem Ritual, bei dem er sich von nichts und niemandem stören ließ. Djamila hatte sich mehrfach erboten, an seiner Stelle die Werkstatt auszufegen, und sie hätte es gewiss mit Sorgfalt und Hingabe getan, wie all die anderen Arbeiten, die sie im Haushalt erledigte – und dennoch hatte er abgelehnt.
Die beiden Räume in Erdgeschoss des Hauses waren einzig und allein sein Reich, und sie eigenhändig von Staub und Straßenschmutz zu befreien, war Antonio ein tiefes Bedürfnis. Kaum hatte er den Besen beiseite gestellt, kam der Tisch an die Reihe, auf dem die Waage stand und all seine Werkzeuge lagen: Feilen, Zangen, Zirkel, Pinzetten, Hammer, Bretteisen und vieles mehr – jeder einzelne Gegenstand hatte seinen eigenen Platz, was langes Suchen unnötig machte.
Erst wenn alles penibel ausgerichtet war, nahm er auf dem Hocker Platz und begann, sich auf die anstehenden Arbeiten zu konzentrieren. So hatte er es schon gehalten, als er als junger Mann das Haus in der engsten Gasse des Albaycíns gekauft hatte, wo Lucia ihren ersten Schrei getan hatte, und nicht anders verfuhr er noch heute. Eines freilich hatte sich grundlegend verändert, und es verging kein Tag, an dem er es nicht aus ganzem Herzen bedauert hätte: Aus dem Nebenraum drangen schon viel zu lange weder der muntere Bass noch das leicht schleppende Geräusch der handbetriebenen Apparatur, auf der sein Freund Kamal bin Nabil wie kein anderer in der Stadt Edelsteine zum Leuchten bringen konnte. Das Ende der nasridischen* Herrschaft hatte für den begnadeten Steinschleifer auch das Ende der Aufträge bedeutet. Inzwischen verdienten Kamal und sein Sohn Rashid ihr Brot als Fliesenleger, eine schweißtreibende Tätigkeit, die zudem schlecht bezahlt war.
Aber auch für Antonio war nichts mehr wie früher.
Harte Jahre lagen hinter Granada, Zeiten von Belagerung, Eroberung und strenger Herrschaft unter christlichem Regime, eine Situation, in der die Menschen kaum noch Interesse an Schmuck oder kostbaren Gegenständen aus Silber oder Gold aufbringen konnten, weil ganz andere Nöte sie drückten. Viele seiner ehemaligen Handwerkskollegen in den Nachbarhäusern hatten die Stadt inzwischen verlassen oder waren in andere Berufe gewechselt, um ihre Familien durchzubringen. Und auch er hatte lernen müssen, sich mit einfachen Arbeiten zufriedenzugeben, Reparaturen, Um- arbeitungen, meist mit minderen Materialien, über die er früher verächtlich die Schultern gezuckt hätte. Inzwischen war Antonio froh über jeden, der noch immer den Weg zu ihm fand und es ihm ermöglichte, weiterhin den Beruf auszuüben, den er so sehr liebte.
Heute musste der Goldschmied mit besonderer Sorgfalt vorgehen. Er hatte sogar Djamila untersagt, ihm den kleinen Imbiss in die Werkstatt zu bringen, mit dem sie ihn sonst am Vormittag verwöhnte. Das Gold hatte er bereits vor Tagen zwischen Lederhäuten hauchdünn geschlagen, in gleich große Blätter geschnitten und zwischen Papierheftchen gelegt. Jetzt stand der silberne Kelch vor ihm, auf den er
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