Die Nacht von Granada
letzten Winter leckte und Regen und Schnee in die Schlaf räume tropfen ließ. Lucia brauchte dringend einen Satz neuer Kleider, weil sie schon wieder aus allem heraus gewachsen war. Djamila, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablas, hatte seit Langem ein kleines Geschenk verdient, ein paar neue Silberreifen beispielsweise, die an ihren schlanken Gelenken klimperten. Und erst die strahlenden Augen von Kamal, der Mörtel und Hammer beiseitelegen könnte, um endlich wieder seine einzigartige Handkurbel zum Singen zu bringen …
»Antonio?« Gaspars spröde Stimme schreckte ihn aus seinen Tagträumen auf. »Ich warte!«
»Wie sollte solch ein Schliff denn aussehen?«, hörte er sich zu einer eigenen Verblüffung fragen, wenngleich ihm die eigene Stimme spröde und fremd vorkam. »Der Hyazinth würde auf jeden Fall an Karat verlieren, so viel kann selbst ich dir sagen. Außerdem würde es dauern. Kamal kann nur am Sonntag arbeiten, weil er Tageslicht zum Schleifen braucht …«
Gaspar schien plötzlich wie von innen zu strahlen. Die Münzen verschwanden wieder im Lederbeutel, den er sorgfältig einsteckte. Dem folgten noch hastiger die beiden anderen Beutel.
»Lasst euch ruhig Zeit«, versicherte er. »Der Ring muss erst zum Fest der Heiligen Drei Könige fertig sein. Und der Schliff? Wie eine Rose, an der das Licht sich bricht, als ob die Morgensonne ihre Blütenblätter küsst.« Er zog ein gefaltetes Stück Papier aus seinem Wams, schlug es auf und strich es glatt. »Ich hab alles Nötige aufgezeichnet.«
Antonio schob es unwillig zur Seite. »Der beste Steinschleifer Granadas ist Kamal, nicht ich. Komm am Sonntag wieder und zeig ihm den Stein. Erst danach können wir verhandeln.«
»Du hast noch einmal Glück gehabt.« Djamila klang angespannt. »Wenigstens sind die Wundränder einigermaßen glatt, da …«
»Glück?«, unterbrach sie Rashid. »Unseren geheimen Gebetsraum haben sie aufgespürt, einen Freund in den Untergrund getrieben, einem anderen, der für mich einstehen wollte, die Schwertklinge ins Herz gestoßen, mich mit einem Speer verletzt – und das nennst du Glück?«
»Ein Gläubiger?«, rief Djamila und vergaß für einen Augenblick, die Stimme zu senken. »Einer von uns?«
»Ja, aber frag lieber nicht weiter. Ich möchte nicht, dass du in Gefahr gerätst – du oder andere.«
»Wovon redest du?«
»Was du nicht weißt, kannst du nicht verraten, sollten sie dich zu fassen bekommen. Verstanden?«
»Schon, aber dein Arm …«
Sein wütender Schmerzenschrei ließ Djamila auf der Stelle verstummen.
Für Lucia, die sich unbemerkt zurück ins Haus hatte schleichen wollen, war es, als bohre sich bei diesem Schrei etwas Spitzes in ihre Brust. Rashid war verletzt – und offenbar erheblich! Aber warum ließ er sich nicht von seiner Mutter verbinden, sondern hatte Zuflucht im Nachbarhaus gesucht?
»Geht es nicht ein bisschen sanfter?«, hörte Lucia ihn schließlich in seiner Muttersprache murmeln. »Es sticht und brennt schon genug. Du musst mir dabei nicht noch die ganze Haut abreißen!«
»Die Wunde muss sauber sein, sonst kann sie sich entzünden«, erwiderte Djamila. »Wieso begibst du dich überhaupt in solche Gefahr?«
»Bist du vielleicht meine Mutter?«
»Nein, aber …«
»Dann halte dich bitte aus diesen Dingen heraus und mach, worum ich dich gebeten habe. Damit hilfst du mir am meisten.«
Er hatte sie verärgert, das hörte Lucia an der spitzen Stimme, mit der Djamila ihm antwortete: »Dann verabreiche ich dir jetzt ein Pflaster mit Honig und Mehl, das wird fürs Erste helfen. Darauf kommt dann der Verband und du solltest den Arm unbedingt für ein paar Tage schonen …«
»Kein Verband!«, widersprach Rashid so heftig, dass Lucia sich unwillkürlich enger an die Wand drückte. »Der würde mich ihnen doch ans Messer liefern, diesen verdammten Christenhunden, die uns Gläubige jagen, als besäßen sie alles Recht der Welt dazu.« Er hörte sich an wie ein gehetztes Tier, das die Falle bereits wittert.
»Ohne Verband geht es aber nicht!«, beharrte Djamila.
»Niemand aus der Familie darf erfahren, dass ich diese Wunde habe – niemand! Deshalb bin ich hier. Weil ich weiß, dass du schweigen kannst.«
Trotz der ernsten Lage verspürte Lucia etwas wie Erleichterung. Djamila sollte Rashid nur helfen – nicht mehr. Eben hatten die beiden in ihrem Streit noch so vertraut geklungen, dass alles in ihr sich zusammengekrampft hatte. Die Frau, die mit ihr seit einigen Jahren unter einem
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