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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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und Toleranz mehr bedeuteten als Heimat und Existenz. Wer von hier das gelobte Land Amerika nicht erreichen konnte, war verloren. Er mußte verbluten im Gestrüpp der verweigerten Ein- und Ausreisevisa, der unerreichbaren Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen, der Internierungslager, der Bürokratie, der Einsamkeit, der Fremde und der entsetzlichen allgemeinen Gleichgültigkeit gegen das Schicksal des einzelnen, die stets die Folge von Krieg, Angst und Not ist. Der Mensch war um diese Zeit nichts mehr; ein gültiger Paß alles.
    Ich war nachmittags im Casino von Estoril gewesen, um
    zu spielen. Ich besaß noch einen guten Anzug, und man hatte mich hineingelassen. Es war ein letzter, verzweifelter Versuch gewesen, das Schicksal zu bestechen. Unsere portugiesische Aufenthaltserlaubnis lief in wenigen Tagen ab, und Ruth und ich hatten keine anderen Visa. Das Schiff, das im Tejo lag, war das letzte, mit dem wir in Frankreich gehofft hatten, New York zu erreichen; aber es war seit Monaten ausverkauft, und uns hätten, außer der amerikanischen Einreiseerlaubnis, auch noch über dreihundert Dollar Fahrgeld gefehlt. Ich hatte versucht, wenigstens das Geld zu bekommen, in der einzigen Art, die hier noch möglich war - durch Spielen. Es war sinnlos gewesen, denn selbst wenn ich gewonnen hätte, hätte immer noch ein Wunder geschehen müssen, um auf das Schiff zu kommen. Doch auf der Flucht und in Verzweiflung und Gefahr lernt man, an Wunder zu glauben; sonst würde man nicht überleben. Ich hatte von den zweiundsechzig Dollar, die wir noch besessen hatten, sechsundfünfzig verloren.

    Der Quai war in der späten Nacht ziemlich leer. Nach einer Weile bemerkte ich jedoch einen Mann, der ziellos hin und her ging, dann stehenblieb und ebenso zu dem Schiff hinüberstarrte wie ich. Ich nahm an, er sei auch einer der vielen Gestrandeten, und beachtete ihn nicht weiter, bis ich spürte, daß er mich beobachtete. Die Furcht vor der Polizei verläßt den Flüchtling nie, nicht einmal im Schlaf, auch wenn er nichts zu fürchten hat - deshalb drehte ich mich sofort gelangweilt um und verließ langsam den Quai wie jemand, der vor nichts Angst zu haben braucht.
      Kurz darauf hörte ich Schritte hinter mir. Ich ging weiter, ohne schneller zu werden, während ich überlegte, wie ich Ruth benachrichtigen könne, wenn ich verhaftet würde. Die pastellfarbenen Häuser, die am Ende des Quais wie Schmetterlinge in der Nacht schliefen, waren noch zu weit entfernt, als daß ich, ohne Gefahr, angeschossen zu werden, zu ihnen hätte hinüberlaufen können, um in den Gassen zu verschwinden.
      Der Mann war jetzt neben mir. Er war etwas kleiner als ich. »Sind Sie Deutscher?« fragte er auf deutsch.
    Ich schüttelte den Kopf und ging weiter.
    »Österreicher?«
      Ich antwortete nicht. Ich sah auf die pastellfarbenen Häuser, die viel zu langsam näherkamen. Ich wußte, daß es portugiesische Polizisten gab, die sehr gut deutsch sprachen.
    »Ich bin kein Polizist«, sagte der Mann.
      Ich glaubte ihm nicht. Er war in Zivil, aber Gendarmen in Zivil hatten mich ein halbes dutzendmal in Europa festgenommen. Ich hatte zwar jetzt Ausweispapiere bei mir, die nicht schlecht gemacht waren, in Paris von einem Mathematikprofessor aus Prag, aber sie waren etwas gefälscht.
      »Ich sah Sie, wie Sie das Schiff betrachteten«, sagte der Mann. »Deshalb dachte ich -«
    Ich streifte ihn mit einem gleichgültigen Blick. Er sah
    nicht aus wie ein Polizist; aber der letzte Gendarm, der mich in Bordeaux erwischt hatte, hatte so erbarmungswürdig ausgesehen wie Lazarus nach drei Tagen im Grabe, und er war der unbarmherzigste von allen gewesen. Er hatte mich verhaftet, obschon er wußte, daß die deutschen Truppen in einem Tage in Bordeaux sein sollten, und ich wäre verloren gewesen, hätte mich ein barmherziger Gefängnisdirektor nicht ein paar Stunden später freigelassen.
    »Möchten Sie nach New York?« fragte der Mann.
      Ich antwortete nicht. Ich brauchte nur noch zwanzig Meter, um ihn niederstoßen und entfliehen zu können, wenn es notwendig war.
      »Hier sind zwei Fahrkarten für das Schiff, das drüben liegt«, sagte der Mann und griff in seine Tasche.
      Ich sah die Scheine. Ich konnte sie im schwachen Licht nicht lesen. Aber wir waren jetzt weit genug gekommen. Ich konnte riskieren, stehenzubleiben.
      »Was soll das alles?« fragte ich auf portugiesisch. Ich kannte ein paar Worte davon.
      »Sie können sie haben«, sagte der Mann. »Ich

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