Heilen und Kochen mit Hildegard von Bingen
Vorwort
Der englische Dichter Wystan Hugh Auden, lange Zeit den Sommer auf einem Bauernhof in Niederösterreich verbringend, veröffentlichte 1972 ein Gedicht »Moon Landing«. Die Mondlandung veranlasste ihn zu Reflexionen über den Wert unserer technischen Eroberungen, unsere Apparate und dunklen Geschäfte. Das Gedicht endet:
»Alles, worum wir beten können, ist, dass Künstler, Meisterköche und Heilige uns lang noch das Leben erheitern.«
Was brauchen wir, dass unser Leben licht wird, glücklich, gelingend? Fitnessstudios und Wellnessfarmen stehen hoch in Kurs. Aber wir brauchen mehr: gute, gesunde Nahrung, Arzneien für Leib und Seele, Kunst, die das Schöne, den Glanz des Wahren und Guten aufleuchten lässt, und Heiligkeit. Dies alles – und noch mehr – vereinte Hildegard von Bingen in sich, die faszinierende Gestalt des 12. Jahrhunderts, die prophetissa teutonica, die deutsche Prophetin, der Papst Eugen III. schrieb:
»Du bist für viele ein Duft des Lebens geworden.«
Sie dichtete und komponierte, schrieb naturkundliche, hagiographische, theologische Werke, heilte Kranke, leitete Klöster, stand im Briefwechsel mit den Großen der Zeit, redete in öffentlichen Predigten dem Klerus, dem Adel, dem Volke mahnend ins Gewissen. Heute ist sie vor allem bekannt wegen ihrer medizinischen Ratschläge und der Arzneien, die sie herzustellen und anzuwenden wusste. Freilich sind ihre naturkundlichen und medizinischen Erkenntnisse nur schlecht überliefert.
Ihre großen Werke entstanden vielmehr aus einer inneren Schau. Schon als Kind sah sie ein großes Licht, das ihre Seele erbeben machte, über das sie sich aber nicht näher äußern konnte. Im vierzigsten Lebensjahr aber vernimmt sie den inneren Befehl:
»Schreibe auf, was du siehst, und sage, was du hörst!«
Auf der Synode zu Trier (1147/48) hatte Papst Eugen III. selbst aus Hildegards Schriften vorgelesen und forderte sie auf, ihre Visionen aller Welt kundzutun. So schrieb sie zunächst das Buch »Wisse die Wege des Herrn (Scivias)«, ein Werk, das Gotteslehre, Weltlehre und Menschenlehre aufs Engste verknüpft. Weitere Werke handeln von der wahren Fitness des Menschen, den Tüchtigkeiten, den Tugenden und von der wahren Wellness, dem wahren Wohl und Glück, der Seligkeit der Vollendung. Was sie in ihrer Schau sieht, die große Einheit, drückt sie in ihrem Leben aus, in der Leitung des Klosters, in der Beratung vieler Menschen, in der Sorge für die Kranken, in den Mahnungen an alle, die in der Welt Verantwortung haben.
Unsere Welt zerfällt immer mehr in verschiedene Bereiche, für die jeweils eine Spezialwissenschaft zuständig ist. Unser Leben zerfällt immer mehr in verschiedene Phasen und Bereiche: berufiche Tätigkeit, Freizeitkonsum, persönlicher und gesellschaftlicher Raum. Auch in Krankheiten sind wir immer mehr auf Spezialisten angewiesen. Und doch sehnen wir uns nach einer Einheit des Lebens, nach einem großen Zusammenhang von Welt und Geschichte. Und eben darin besteht die Faszination Hildegards, dass sie uns eine Schau auf das Ganze ermöglicht, dass sie die Zusammenhänge aufscheinen lässt zwischen Leib und Seele, zwischen den verschiedenen Bereichen und Kräften des Kosmos. Immer wieder blickt sie auf den Menschen, der ausgerichtet ist auf den Makrokosmos, der ihn in vielfältigen Kreisen umgibt und auf ihn einwirkt.
Diese Einwirkungen sind segensreich und zerstörerisch, aber der ganze Kosmos ist umfasst von der Frauengestalt der Liebe – über ihr das Antlitz des göttlichen Vaters. Die Liebe ist es, die alles zusammenhält. So werden wir zur Ganzheit gerufen. Wer an Gott glaubt, nimmt ehrfürchtig die ganze Schöpfung wahr und alles, was in ihr ist. Dem Abt von Elostat schreibt sie:
»Nur wer den Acker seines Leibes mit Diskretion umpflügt, dem wird das plötzliche Hereinbrechen des Endes nicht schaden, weil die Musik des Heiligen Geistes und ein Leben in Freude ihn aufnehmen werden.Hüten aber soll sich der Mensch davor, dass er durch zu viel Arbeiten seinen Leib zugrunde richtet.«
In der Erklärung der Benediktusregel gibt sie einen allgemeinen Leitfaden der Lebensführung. Unterscheidung und Maßhaltung sollen den Tages- und Jahreslauf ordnen, Wachen und Schlafen, Arbeit und Muße, Atmen, Essen und Trinken.
So können uns auch die Betrachtung der Heilpflanzen, der sorgfältige Umgang mit unseren Lebensmitteln, die kundige Bereitung von Speisen und Arzneien dazu verhelfen, unser Leben zu ordnen, in allem Leibhaftigen das
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