Die Nachtwanderin
musste noch immer lachen.
"Aber wieso habe ich dann das Verlangen Blut zu trinken?", konterte Mimma.
"Keine Ahnung wieso du dir das einbildest.
Ist wohl so eine Kopfsache.
Doch ich kann dir mit Sicherheit sagen, dass du nach wie vor ein Mensch bist.
Du würdest den Unterschied bemerken, denn es ist ein gewaltiger Unterschied, wie man sich als Mensch und wie man sich als Vampir fühlt. Sämtliche Sinne sind geschärft. Wunden heilen in Sekunden und man nimmt die Umgebung komplett anders war", klärte er Mimma auf.
"Ich bin also immer noch ein Mensch", stammelte Mimma vor sich hin und starrte die Blutkonserve an. In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie um ein Haar Blut getrunken hätte. Angewidert hielt sie die Blutkonserve von sich und drückte sie Ardric in die Hand.
"Igitt, igitt, igitt!", schrie sie und schüttelte ihren ganzen Körper. Ardric schraubte den Deckel der Blutkonserve zu und legte sie zurück in den Kühlschrank.
"Ich hab solchen Hunger, aber mich macht nichts im Kühlschrank so wirklich an!", beklagte sich Mimma.
"Und ich kann mich an nichts mehr erinnern, außer dass ich unheimliche Schmerzen hatte!", jammerte Mimma weiter.
"Weißt du was?
Ich mache dir etwas Leckeres zu Essen, dann kommt dein Appetit schon wieder zurück. Währenddessen erzähle ich dir was passiert ist", meinte Ardric.
"Du kannst kochen? So richtig, dass es auch schmeckt?", hakte Mimma ungläubig nach. Ardric bejahte ihre Frage und begann damit Mimma ein köstliches Mahl zuzubereiten. Er erzählte ihr alles, was nach dem verheerenden Schnitt mit der Rasierklinge passiert war. Und entgegen Ardrics Erwartungen, stauchte Mimma ihn weder zusammen, noch war sie böse auf ihn. Ihr war bewusst, dass sie fahrlässig handelte und diese lebensbedrohliche Situation selbst heraufbeschworen hatte.
*****
Die letzten Blätter fielen von den Bäumen. Der kühle und verregnete Herbst verabschiedete sich und wurde vom frostigen Winter, der mit Pauken und Trompeten in der Stadt Einzug hielt, abgelöst. Die Dächer der Wolkenkratzer waren mit dicken Schneeschichten bedeckt, während man unten in den Straßen emsig damit bemüht war, die Anzeichen des Winters durch Winterräumungsdienste schlichtweg hinfort zu fegen. Doch gegen die hereinbrechende Übermachte des Winters, konnten die Menschen nicht lange stand halten. Irgendwann übernahm er das Ruder und ergriff von allen Straßen und Gehsteigen Besitzt. Er klammerte seinen frostigen Fängen um alles, was sich ihm nicht entziehen konnte und er war nicht bereit seine Beute so schnell wieder herzugeben.
Winter war Mimmas liebste Jahreszeit. Die Hässlichkeit der Stadt, wurde durch ein reines und sauberes Weiß übertüncht, wenn auch nur vorübergehend. Die grauen und tristen Betonklötze der Skyline wirkten mit viel Fantasie, wie Berge mit Spitzen aus Puderzucker. Die sonst mit Abgasen erwärmte und verpestete Luft, wurde durch den eisigen Frost des Winters gefiltert und roch so klar, wie sonst zu keiner Jahreszeit.
"Bist du bereit?", fragte Ardric, der eine Überraschung für Mimma bereit hielt.
"Ja bin ich. Darf ich meine Augen endlich öffnen?", fragte sie ungeduldig und biss sich angespannt auf ihre Unterlippe.
"Ok, dann darfst du jetzt schauen", sagte er und gab Mimma das Kommando ihre Augen wieder zu öffnen. Mimma öffnete ihre Augen nur einen kleinen Spalt und blinzelte durch ihre üppigen Wimpern. Als sie erkannte, was vor ihr auf dem Küchentresen lag, riss sie ihre Augen weit auf.
"Oh mein Gott!
Wo hast du die nur her?", fragte sie und bekam glasige Augen, als sie die völlig abgegriffenen Bücher aus ihrer Kindheit, ausgebreitet vor sich liegen sah. Andächtig strich sie mit ihren Fingerspitzen über die Bücher. Dann nahm sie eines in die Hand und roch daran.
"Sie riechen noch wie früher", sagte sie, als sie den Duft einsog.
"Woher wusstest du das?", fragte sie Ardric.
"Als ich dir zu Beginn unseres Zusammenlebens eröffnete, dass du nicht mehr in dein altes Leben, noch zurück in deine alte Wohnung konntest, erwähntest du deine Lieblingsbücher. Da wurde ich hellhörig.
Eines Nachts ging ich unter größter Vorsicht in deine Wohnung. Überall roch es nach Werwolf. Sie hatten nach dir gesucht und hinterließen ihre Duftmarke.
Eilig stöberte ich dein Bücherregal durch, denn ich hatte keine Lust auf einen von ihnen zu treffen. Ich brauchte nicht lange um herauszufinden, welche wohl deine Lieblingsbücher seien. Sie rochen älter, als die anderen und sahen sehr abgenutzt aus.
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