Die Nachtwanderin
Hastig zog er den Reißverschluss von Mimmas Mantel zu, als ob er es nicht erwarten konnte, sie endlich für ein paar Stunden loszuwerden. Es läutete und der Aufzug erschien.
"Hier habe ich noch eine Kleinigkeit für dich", sagte Ardric und drückte Mimma ein Handy in die Hand. Es war das neueste Modell eines Handys, das jeder wollte und noch gar nicht auf dem Markt war. Es besaß sämtliche Feinheiten und Raffinessen, die man sich nur vorstellen konnte.
"Das gibt es doch noch gar nicht zum Kaufen!
Wo hast du das her?", fragte Mimma ihn erstaunt.
"Tja, ich habe meine Beziehungen", antwortete er und zog seine Augenbrauen hoch.
"Ich dachte mir, dass du es brauchen könntest.
Nur für den Notfall. Man weiß ja nie. Meine Nummer ist auf der Kurzwahltaste 1.
Falls du mich brauchen solltest, ruf einfach an", erklärte er ihr und schob sie sanft in das Innere des Aufzugs.
"Danke", sagte Mimma und ließ das Handy in ihrer Manteltasche verschwinden.
"So und jetzt geh endlich und amüsier dich!", forderte sie Ardric auf. Mit zittrigen Händen steckte Mimma den Schlüssel in das Schloss und drehte ihn herum. Dann drückte sie auf den Knopf für das Erdgeschoss und warf Ardric einen letzen wehmütigen Blick zu, bevor sich die Türen des Aufzuges schlossen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge, stand Ardric wie angewurzelt da und sah zu, wie Mimma hinter den geschlossenen Türen im Aufzug verschwand.
Mimma sah sich im Aufzug um. Obwohl man zu zweit kaum Platz darin hatte, empfand sie Ardrics Fehlen als Leere, die den Aufzug als riesig erscheinen ließ. Sie fühlte sich einsam und alleine und war kurz davor, es sich anders zu überlegen und bei Ardric Zuhause zu bleiben. Doch dann rief sie sich Ardrics Worte ins Gedächtnis, dass er froh war, wenn er einmal nicht den Babysitter für sie spielen musste.
Im Erdgeschoss angekommen ging sie den langen und breiten Hallenbereich alleine zum Ausgang. Es waren ungewohnte und schwere Schritte für Mimma. Draußen vor dem Wolkenkratzer wehte ihr ein eisiger Wind entgegen. Es herrschten bereits Minusgrade. Mimma holte sich ihre Mütze und ihre Handschuhe aus der Handtasche heraus und achtete darauf, dass sie nicht versehentlich das dicke Geldbündel verlor. Sie zog ihre Mütze zu Recht und streifte ihre Handschuhe über. Dann legte sie ihren Kopf in den Nacken und versuchte Ardrics Apartment aus den unzähligen Fenstern und Stockwerken ausfindig zu machen. Sie wusste, dass es das letzte Apartment im Dachgeschoss war, doch die große Entfernung und die hereinbrechende Nacht verklärten ihre Sicht. Mimma überlegte welche Richtung sie einschlagen sollte und blies ihren warmen Atem aus. Sogleich verwandelte sich ihr Atem in einen eisigen Nebel, der vom Wind fortgetragen wurde. Sie folgte der Windrichtung und ging nach links.
Ihr weg führte an unzähligen und stark beleuchteten Schaufenstern vorbei, die mit Weihnachtsdekoration völlig überladen waren. An Weihnachten hatte sie gar nicht mehr gedacht. Sie selbst hatte nie das Verlangen dazu gehabt, diesen Feiertag alleine zu zelebrieren und da sie, seit sie auf sich alleine gestellt war, nie jemanden hatte, den sie zu sich einladen konnte, fiel nicht nur Weihnachten für sie aus, sondern auch all die anderen jährlichen und somit immer wieder kehrenden Feiertage. Mimma fragte sich, ob Vampire Weihnachten feierten. Feierten Vampire überhaupt irgendwelche Feiertage? Feierten Vampire eigentlich ihren eigenen Geburtstag? Und wenn ja, welchen Geburtstag? Den Geburtstag, den man als Mensch feiert, oder den Geburtstag, wann man als Vampir auferstanden war? Mimma nahm sich fest vor sich all diese Fragen zu merken, um sie bei ihrer Rückkehr Ardric stellen zu können. Er war schließlich ein Vampir. Ihm dürfte es also nicht allzu schwer fallen, die Fragen zu beantworten. Währenddessen lief Mimma weiterhin ziellos umher, ohne zu wissen, was sie mit sich anstellen sollte. Sie kam an einem Kino vorbei, doch keiner der angebotenen Filme weckte ihr Interesse. Nach einer weiteren halben Stunde Fußmarsch, zwang sie die Kälte in einer nächstgelgenen Bar einzukehren, um sich aufzuwärmen. An der Tür konnte sie lesen, dass sie auch eine kleine Auswahl an Gerichten hatten, was Mimma nur recht war, denn sie hatte Hunger.
Als sie hinein ging, schlug ihr die stark aufgeheizte Luft entgegen und fühlte sich für ein paar Sekunden unangenehm in ihrem Gesicht an. Der krasse Temperaturunterschied verursachte auf ihrer Haut ein Jucken und Brennen. Doch nur
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