Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
1
Zentral-Tansania, 1968
Langsam stapfte Mara den Hügel hinauf. Das Gewicht des Jutebeutels, der über ihrer Schulter hing, zog sie nach vorn. Quer über ihrem Rücken trug sie ein Gewehr, und bei jedem Schritt drückte sich das harte Metall des Laufs in ihre Haut. Es wehte kein Lüftchen, und die Mittagssonne brannte gleißend vom klaren Himmel.
An einer Felsengruppe vorbei gelangte Mara zu einem großen Dornenbaum. Sie blieb stehen und schaute prüfend nach braungelben Gliedmaßen oder dunklen Gestalten im Geäst. Sie wusste zwar, dass wilde Tiere sich von Menschen fernhielten – das war eines der ersten Dinge gewesen, die John ihr über das Leben in Afrika beigebracht hatte. Aber trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass die beiden Perlhühner in ihrer Tasche sie als Fleischfresser kennzeichneten; ein Beutetier, das jagt und deshalb auch damit rechnen muss, selbst gejagt zu werden.
Es gab jedoch kein Anzeichen für Gefahr, deshalb trat sie in den Schatten der Baumkrone. Während sie verschnaufte, blickte sie auf die Savanne vor sich. Die Bäume, Büsche und Termitenhügel aus roter Erde bildeten ein seltsam ordentliches Muster auf der endlosen Ebene aus verbranntem gelbem Gras. Am liebsten wäre sie eine Zeitlang stehen geblieben und hätte sich an der Aussicht erfreut – aber sie war dieses Mal weiter von zu Hause weg als sonst, und wenn sie sich nicht beeilte, würde sie zu spät zum Mittagessen zurück sein. Und die Szene, die sich dann zu Hause abspielen würde, konnte sie sich lebhaft vorstellen. Kefa, der Haus-Boy, würde nervös in der Küche auf und ab laufen und sich überlegen, ob er einen Suchtrupp losschicken sollte. Menelik, der Koch, würde seine Meinung dazu nicht äußern; der alte Mann würde kein Wort sagen, sondern lediglich missbilligend den Kopf schütteln. Damit würde er klar zum Ausdruck bringen, dass es ihn nicht überraschte, wenn die Frau des Bwana mal wieder Ärger machte.
Der Geruch stieg Mara in die Nase – eine beißende, grüne Schärfe, die über der Hitze und dem Staub lag. Und als sie auf der Kuppe des Hügels angelangt war, blieb sie abrupt stehen. Direkt vor ihr war ein großer Baum zur Seite gestürzt, die Wurzeln ragten in die Luft. Der Stamm eines anderen Baums daneben war in zwei Hälften zerbrochen. Und dahinter ging der Schaden immer weiter, Baum um Baum war aus dem Boden gerissen, Blätter und Zweige lagen herum. Nicht weit von ihr entfernt sah sie einen dunklen Haufen Dung.
Rasch blickte sie in alle Richtungen und kniff die Augen zusammen, um die großen, grauen Leiber der Elefanten zu entdecken, die durch das Land zogen. Überraschenderweise waren sie schwer zu erkennen; ihre unauffällige Farbe verschmolz mit dem Dunst. Aber schließlich war sie sich sicher – sie waren nicht mehr da.
Mara betrachtete die verwüstete Landschaft. Eigentlich war es kein ungewöhnlicher Anblick, sagte sie sich: Elefanten zerstörten oft ganze Bäume, nur um an ein paar Büschel Nahrung zu gelangen; sie waren unbeholfen und verschwenderisch. Und doch konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren, dass diese Verwüstung hier absichtlich stattgefunden hatte. Wie eine Zurschaustellung von Macht. In der Luft hing immer noch der fast greifbare Geruch aus Kraft und Wut, der sich um sie zu legen schien und sie aufsaugte.
Sie zwang sich dazu weiterzugehen. Nach ein paar Schritten begann sie zu laufen und suchte sich ihren Weg zwischen Büschen und Felsen. Nach dem nächsten Hügel erreichte sie wieder die offene Savanne. Dort wurde sie langsamer, schritt aber trotzdem rasch aus. Bald schon kam sie am Wasserloch mit den Flusspferden und dem getrockneten Schlamm an den Rändern vorbei. Dann schließlich erreichte sie den Pfad, der zu einem kleinen Plateau hinaufführte. Vor sich konnte sie schon den kleinen Hain aus dunkelblättrigen Mangobäumen sehen, die die vertrauten roten Dächer der Lodge umgaben.
Mara eilte über den Parkplatz. Das einzige Fahrzeug, das dort stand, war der hinten offene, zerbeulte Landrover mit dem verblassten Lack. Um ihn herum waren die leeren Parkflächen ordentlich mit weißen Steinen abgetrennt. Mara nahm die Abkürzung zum Eingangstor und duckte sich unter dem Schild hindurch, auf dem Willkommen in der Raynor Lodge stand. Dahinter war ein Bogen aus verwitterten Elefantenstoßzähnen – große, gebogene Elfenbeinzähne, die in Betonsäulen eingelassen waren.
Eilig lief sie den Weg zur Lodge entlang. Aus Gewohnheit schaute sie sich dabei um und
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