Die Nachzüglerin (German Edition)
einander
begegneten? Nein. Ich blieb, weil ich ohne Alexej nicht
leben konnte.
Eine Kerze war ausgegangen. Frieda zündete eine neue
an und setzte sie auf den Stumpf der alten, ohne dabei
Wachs zu verschütten.
"Warum lässt du mich bei dir wohnen, Frieda?" Ich
hatte sie das schon oft gefragt. Sie hatte immer gelacht
und mir ihre schönen Zähne gezeigt und mir
versichert, dass sie mich gern hatte.
Heute lachte sie nicht. "Als ich dich zum ersten Mal in
der Kneipe sah, war ich entsetzt. Ich fürchtete, du
würdest aufs Klo gehen und dich umbringen."
Ich konnte nicht mehr sprechen. Ich versuchte, das
Geschirr abzuwaschen. Meine Bewegungen waren zu
ruckartig. Ich grub mit den Tellern und Tassen das
Wasser um. Es spritzte auf den Boden. Frieda
beobachtete mich streng. Aus Versehen stieß ich beim
Wischen den Abfalleimer um. Frieda kam mir zu Hilfe.
"Das passiert mir auch oft", log sie mich an und gab
sich fahrig. Nie im Leben wäre ihr das passiert.
Schneller als ich mich aufrichten konnte, hatte sie den
ganzen Müll wieder eingesammelt und den Fußboden
sauber gewischt. Dann stellte sie sich an die Spüle.
"Ich mache das schnell."
"Macht es dir Spaß, mich zu besiegen?"
"Nein", sie atmete tief durch. "Aber du musst einen
neuen Weg für dich finden."
"Du hast Recht, es ist besser, wenn ich ausziehe." Ich
ging zu meiner Matratze und fing an, meine fünf
Sachen zu packen. Frieda riss mir den Rucksack aus
der Hand.
"Es ist Heiligabend. Lass uns was trinken gehen."
Ich zog meine Lederhose an. Sie passte mir längst
nicht mehr. Vielmehr musste ich sie mit einem Gürtel
über den Beckenknochen festbinden. "Ich will lieber
noch etwas essen", rief ich. Ich wollte mein Leben
ändern. Frieda kannte ein bayrisch-vietnamesisches
Imbisslokal. Sie lockte mich mit Semmelknödeln und
echt bayrischem Bier. Ich glaubte ihr kein Wort.
Wir gingen zu Fuß an einer Friedhofsmauer entlang.
Die Mauer war aus roten Backsteinen, brüchig und an
einigen Stellen ganz eingerissen, so dass wir die
Grabsteine sehen konnten. Drei Glatzköpfe glänzten
orange im Laternenlicht und kamen uns entgegen. Sie
gingen schnell an uns vorbei, ohne uns anzusehen.
Dann hörten wir ein lautes Aufheulen hinter der
Mauer. "Bleib hier", sagte Frieda. Sie ließ mich einfach
stehen und verschwand im Dunkeln.
"Franka, komm, hilf mir." Ein Auto kam auf mich zu.
Ich schwenkte meine Arme. Damit der Fahrer mich
wirklich sehen konnte, stellte ich mich mitten auf die
Fahrbahn. Ich war erleichtert, als ich sah, dass es ein
Polizeiauto war. Umso enttäuschter war ich, als es mir
auswich und an mir vorbeizog. Wahrscheinlich hielten
sie mich für eine Verrückte. Frieda rief wieder nach
mir. Ich sprang über den Mauerrest und eilte zu ihr.
Sie war über einen jungen Mann gebeugt. "Los, pack
mit an." Sie fasste mit beiden Händen unter seinen
Achseln durch und hielt seinen abgewinkelten Arm im
Rettungsgriff. Der Mann hatte eine Platzwunde am
Kopf. Als wir ihn zur Straße geschleppt hatten, bettete
ihn Frieda auf ihren Schal. Die drei Skinheads waren
umgekehrt. Einer von ihnen winkte uns mit einer
silbernen Pistole. Sie blieben etwa zehn Meter von uns
entfernt stehen.
" D as ist nur eine Schreckschusspistole. Die wollen uns
nur drohen." Frieda fluchte leise vor sich hin, während
sie sich die Wunde besah.
"Hoffentlich hast du recht." Ich beschloss, ihr zu vertrauen. Der Verletzte versuchte uns etwas zu erklären.
Aber er war zu betrunken, um sich uns verständlich
machen zu können. Ich wollte nur noch abhauen.
"Zeckenfotzen!", rief einer der Jungs zu uns hinüber.
Dann feixten sie und begannen wie wild auf den
Boden zu spucken, als führten sie ein Ritual durch.
Endlich hielt ein Auto. Der Fahrer versprach, Hilfe zu
holen, und sein Beifahrer stieg aus, um mit uns zu
warten.
Die Sanitäter behandelten den Patienten mit Herablassung, als hätte er sich mit Absicht zusammenschlagen lassen. Ich wollte ihnen erklären, was passiert
war. "Das sehen die doch selber", Frieda packte mich
und zog mich ins Auto.
Der Krankenwagen fuhr los.
"Warum willst du nicht auf die Bullen warten?"
"Warum lässt du dir nicht gleich eine in die Fresse
hauen? Meinst du, die bleiben brav neben dir stehen,
bis du deine Aussage gemacht hast? Das sind nur
dumme Jungs, aber wenn du Pech hast, haben sie
einen zu viel getrunken und machen dich kalt."
Wir fuhren durch die dunkle Stadt.
"Das waren Faschisten", stöhnte ich.
Frieda antwortete nicht.
"Warum willst du es nicht wahrhaben?" Frieda tat
wieder, als
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