Die Nachzüglerin (German Edition)
Frieda verdrehte die
Augen.
"Er nutzt dich aus. Heterosexistischer geht es nicht."
"Er will es sich nur nicht eingestehen." Ich würde es
ihr beweisen. Frieda sah aus dem Fenster. Sie tat mir
leid. Immer belastete ich sie mit Alexej. Ich war nicht
verliebt. Ich war krank. Franka, kranka. Ich forderte sie
auf: "Lass uns über etwas anderes sprechen."
"Gibt es noch etwas anderes? Manchmal denke ich
schon, dass ich in Alexej verliebt bin und nicht du."
"Ich könnte das sehr gut verstehen. "
KAPITEL 12
Ein riesiges Einkaufszentrum eröffnete auf einem
Acker vor der Stadt. Ich beschloss, es zu besuchen, um
das Land des ehemaligen Sozialismus für kurze Zeit zu
verlassen. Außer mir waren viele andere Menschen
gekommen, die über diese Ansammlung von Läden
und Restaurants nicht allzu glücklich zu sein schienen.
Man war gekommen, um sich anzusehen, was man
sich
nicht
leisten
konnte.
In
der
einzigen
Buchhandlung suchte ich vergeblich nach einem Band
von Bertolt Brecht. Stattdessen wurden stapelweise
Erotikkochbücher verkauft. Ich fand auch kein Buch
von
Brigitte
Reimann.
Die
war doch
hier
aufgewachsen. Dafür war die Hitlerbiografie von
Joachim Fest gleich viermal zu haben, und das
Ansichtsexemplar sah schon reichlich abgegriffen und
zerlesen aus. Zwei Plüschbären in Menschengröße
bargen studentische Hilfskräfte in ihren Bäuchen. Ich
traute mich nicht, um einen Luftballon zu bitten, aber
ich freute mich über das kostenlose Stück Disneyland
und erwiderte freundlich den Gruß aus der
Teddyschnauze. Ein Hund bellte, und eine Frau schrie
gleichzeitig, dann war wieder Ruhe. Ich kaufte mir eine
Portion Gyros im Brot. Plötzlich war es mir peinlich,
öffentlich zu essen, deshalb schluckte ich die
angebratenen Fleischstücke unzerkaut hinunter.
Ich bereute bitter, dass ich hierhergefahren war. Was
sollte ich mir kaufen? Ich war doch gar nicht wert,
etwas zu besitzen. Was konnte ich denn? Ich konnte
nicht einmal Alexej umbringen. Mein Ich brüllte
panisch aus meinem Körper heraus und drohte sich in
eine Krebszelle zu verwandeln. "Wo sind die
Meinen?", fragte ich mich. "Die Meinen lassen mich in
Ruhe. Sie seufzen nicht, wenn sie das heutige Datum
hören. Sie wollen die Zeit nicht anhalten. Der Tod ist
ein schwarzes Loch in ihrer Wahrnehmung, aber er ist
ihnen immer noch lieber als der Sommerschlussverkauf. Die Meinen wissen, was jetzt ist, und sie
hassen den Betrug. Ich habe die Meinen verloren – an
der Stelle, wo mein Ich schreit."
Endlich entschloss ich mich, eine Sprühdose mit roter
Lackfarbe zu kaufen. Ich fuhr zu Alexej, denn wollte
ich auf seine Hauswand sprühen. Aber nicht nachts
um vier Uhr, wenn mich keiner sah. Das konnte jeder.
Ich sprühte um drei Uhr nachmittags zur Kaffeezeit.
Niemand hielt mich dabei auf. Ich nahm mir Zeit und
sprühte in großen roten Buchstaben: "Die 68er haben
den Sex nicht erfunden." Ich fand den Spruch genial.
Ob Alexej ihn wohl verstehen würde? Wem gehörten
die Häuser, Läden und Autos? Die Westdeutschen
bekamen Steuererleichterungen, wenn sie sich hier
Immobilien kauften und renovieren ließen. Wie viele
Häuser mochten das sein? Die neu renovierten Straßen
gehörten ihnen ebenfalls. Straßen hingegen, die alt und
voller Schlaglöcher waren, gehörten den Ostdeutschen.
Fabriken, die verfallen und still dalagen, gehörten
ihnen selbstverständlich auch. Die Ostdeutschen
waren also mittellos vom großen, weißen Wessi
übernommen worden. Ich schlich durch die Straßen
und verglich die Häuser miteinander. Ohne es zu
merken, sang ich die alten kapitalistischen Weisen der
Heimat vor mich hin: "Altes erhalten, Neues gestalten"
oder "Wer zahlt, schafft an" oder "Wes Brot ich ess,
des Lied ich sing". Das liebte ich besonders. Ich fragte
mich, wie Friedas Lied klang, die in der letzten Zeit für
mich aufgekommen war. Ich beschloss, mir eine
Arbeit zu suchen.
Das Haus verhielt sich wie die anderen Häuser, es
wehrte sich nicht. Fast unzerstört hatte es den letzten
Krieg überstanden und stumm seine Bewohner
ertragen. Seiner rücksichtslosen Inanspruchnahme
hatte es nur stetigen Verfall entgegensetzen können.
Meine Kollegin Margarete und ich waren bei der
Frühstückspause. Wir saßen am Fenster des
gegenüberliegenden Gebäudes und beobachteten, wie
die Arbeiter ein rotweißes Plastikband ums Haus
spannten. Dann machten sie sich daran, den Schutt der
letzten fünfzig Jahre zu entsorgen. Sie machten sich
nicht die Mühe, das baufällige Treppenhaus zu
benutzen, sondern warfen
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