Die Naschkatzen
elften Mal in dieser Stunde. Sie fuhr in eine Kleinstadt, um ohne Drehbuch ein Video für eine Möchtegern-Schauspielerin zu drehen, der sie nicht traute. Das würde unweigerlich Probleme geben. Jeden Moment konnten sie auftauchen, wie Fledermäuse, die wie aus dem Nichts im Sturzflug über sie herfielen. Der Wind blies ihr eine Strähne ihres dunklen, lockigen Haars in die Augen, und sie schob sie ungeduldig mit einem Finger zurück in den Knoten oben auf ihrem Kopf. »Fledermäuse«, sagte sie laut, und Amy fragte: »Was?«
Sophie ließ ihren Kopf gegen die Sitzlehne fallen. »›Wir können hier nicht anhalten. Das hier ist Fledermausland.‹«
»Johnny Depp«, sagte Amy. »Fear and Loathing in Las Vegas . Hör auf mit den Zitaten. Es gibt keinen Grund, nervös zu sein, du reagierst übertrieben.«
Sie bog von dem Highway ab auf die alte Straße, die nach Temptation führte. An der Ausfahrt standen eine blitzblanke neue Tankstelle und ein weniger blitzblankes, aber immer noch manierliches Larry‘s Motel.
»Hübsch malerisch«, meinte Amy.
»Unheilschwanger«, sagte Sophie.
»Mein Gott«, sagte Amy. »Es ist doch nicht das Motel von Norman Bates.«
»Du hast ja keine Ahnung, wie gefährlich Kleinstädte sind.« Finster blickte Sophie aus dem Fenster. »Du warst erst zehn, als wir in die Stadt gezogen sind. Du kannst dich nicht daran erinnern, wie furchtbar all diese kleinen Orte waren, in denen wir gelebt haben.«
»Sophie.«
»Und schließlich ist es nicht so, als wüssten wir, was wir machen werden.« Zutiefst misstrauisch starrte Sophie auf eine verwitterte Bar in einem lang gezogenen Gebäude, das ein rostiges Neonschild zierte:
Temptation Taverne
Bier
Musik
»Clea kann leicht sagen, ›Wir werden improvisieren‹, aber auch wenn es nur um eine Homestory geht, brauche ich mehr als ein Skript, das lautet: ›Clea kehrt in ihre schäbige Heimatstadt zurück und trifft ihre Jugendliebe Fred wieder‹.«
»Frank,« Amy ließ sich in ihren Sitz zurückfallen. »Das glaub ich einfach nicht. Endlich filmen wir etwas anderes als Hochzeiten, und alles, was du dazu zu sagen hast, ist: ›Das bringt Ärger‹ und ›Warum können wir nicht in Cincinnati bleiben?‹ und ›Ich traue Clea nicht‹. Gib‘s zu, du magst Clea nur deswegen nicht, weil sie Davy sitzen gelassen hat, um einen landesweit bekannten Nachrichtensprecher zu heiraten. Das ehrt dich als Schwester, aber es wird Zeit, darüber hinwegzukommen.«
»Darum geht es doch gar nicht«, erwiderte Sophie. »Ich weiß nicht, was es ist, aber -«
»Komm schon, Sophie. Dir tut es doch auch gut. Es bringt dich weg von Brandon.«
Oh ja, natürlich ist es gut für mich, dachte Sophie, aber Amy konnte nichts dafür. Es war ihr Familienerbe, die Leute dazu zu bringen, das zu tun, was sie wollte; es lag ihr im Blut, jedem die tollsten Geschichten weismachen zu können.
»Warum du dich mit deinem Therapeuten eingelassen hast, habe ich nie begriffen«, fuhr Amy fort. »Deine Krankenversicherung hat seine Gebühren doch übernommen.«
»Mit meinem Therapeuten.« Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Sophie die verlassene, von Bäumen gesäumte Straße vor ihnen. Unheilvoll. »Es sparte jede Menge Zeit. Du hast ja keine Ahnung, welche Erleichterung es war, ihm nicht die Familienverhältnisse erklären zu müssen.«
»Weißt du, manchmal denke ich, es ist einfach unser Schicksal, nicht ganz astrein zu sein.« Amy wandte den Blick von der Straße ab, um Sophie anzulächeln. »Was meinst du, sollten wir nicht aufhören, Hochzeitsvideos zu drehen, und wie der Rest der Dempseys die schiefe Bahn einschlagen?«
»Nein«, sagte Sophie. »Das würde uns umbringen.«
Sie wartete auf ein Gegenargument, doch Amy war mit ihren Gedanken bereits anderswo. »Oh, wow.« Sie beugte sich vor und verringerte das Tempo. »Diese Straßenschilder muss man einfach herrlich finden.«
Sophie las die verbeulten schwarz-weißen Schilder: Temptation Rotary Club, Erste Lutheranerkirche von Temptation, Temptation Ladies‘ Club Temptation Lichtspielhaus. Das Letzte in der Reihe war ein verrostetes grünes Metallschild mit der cremefarbenen Aufschrift: Willkommen in Temptation. Darunter befand sich ein kleineres Schild in dem gleichen angerosteten, altmodischen Grün, auf dem stand: Phineas T. Tucker; Bürgermeister. Darunter verkündete ein neueres, aber ebenso verbeultes Schild: Wir glauben an die Familienwerte.
»Lass uns hier abhauen«, meinte Sophie.
»Kannst du dir
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