Töchter auf Zeit
VORWORT
Ich presste meine Nase an die Glasscheibe der Neugeborenenstation. Mein Wunsch nach einem eigenen Kind war so übermächtig, dass ich mitten in der Nacht aufwachte, weil auch ich zart in Pausbäckchen und Beinchen kneifen wollte. Ich hatte längst alles geplant. Ich
wusste genau,
welche Art von Mutter ich sein wollte. Ich würde meiner Tochter den Namen Samantha geben, aber rufen würde ich sie Sam, Sammy oder Samarooni. Ich würde ihr feuchte Küsse verpassen und an ihrer Unterlippe nuckeln. Ich würde schmatzende Geräusche auf ihrem Bäuchlein machen, bis sie vor Vergnügen kreischte. Mein Mann Tim und ich würden den Samstagvormittag faul mit ihr im Bett liegen und mit ihr kuscheln, unsere Arme und Beine ein heilloses Durcheinander.
Was bist du nur für ein großes Mädchen!, würde ich ihr ins Ohr gurren
und ihre Füßchen küssen.
Was bist du nur für ein großes Mädchen!
Am Anfang unseres Großprojekts Endlich schwanger! war ich auffallend oft zu Gast bei meiner älteren Schwester Claire. Ich liebte es, ihr kleines Kind auf meinen Knien zu schaukeln. Für mich war jeder Moment, den ich mit meiner Nichte verbrachte, eine Art Praktikum, um mich auf alles vorzubereiten, was früher oder später auf mich zukommen würde. Immer wenn ich im Wartezimmer von Ärzten und Zahnärzten saß, riss ich in unbeobachteten Augenblicken die Rezeptseiten aus
den Frauenzeitschriften
heraus und packte sie zu den anderen Rezepten für selbst gemachte Lutscher mit fröhlichen Gesichtern, Wackelpudding und Muffins.
Claire und ich schmiedeten Pläne. Wir würden unsere Kinder gemeinsam großziehen und abwechselnd Küsse, Saft und Versprechen verteilen. Wir würden unsere Töchter fest im Arm halten und ihnen versichern, dass ihre Kindheit ewig dauern und nicht so abrupt enden würde wie unsere eigene.
Doch dann vergingen Jahre, und ich entwickelte mich allmählich zu
dieser
Frau, der traurigen, um nicht zu sagen verzweifelten Frau. Zu der Frau, die ihre Grenzen überschritt und in der Warteschlange an der Kasse nicht anders konnte, als das Füßchen eines fremden Babys zu berühren, das aus der Kindertrage herunterbaumelte, nur um diese seidenweiche Babyhaut zu spüren. In mir gab es eine tiefe Traurigkeit, aber auch Wut, doch nicht die kleinen Kinder bekamen meine Aggression zu spüren. Ich liebte sie über alles. Es waren ihre Mütter – die Frauen, die das geschafft hatten, was ich nicht zustande brachte –, die ich zu hassen begann.
Es vergingen weitere Jahre, und nichts tat sich. Eine pinkfarbene Linie, dickflüssiges Blut, und mein Herz zerbrach in zwei Teile. »Du nicht!«, höhnte mein Körper. »Jede, aber du nicht!«
Für meine drei Töchter
TEIL 1
KAPITEL 1
Los, steh auf! Raus aus den Federn!, befahl mir mein Verstand.
Vergiss es!, entgegnete mein Körper. Ich genoss die Wärme der Daunendecke, und Tim würde ohnehin bald gehen. Vor allem aber hatte ich Krämpfe, und das Kissen, das ich mir unter den Bauch geklemmt hatte, tat mir gut. Steh’ auf!, rügte mich mein Verstand erneut. Sonst verliert dein Mann noch die Geduld mit dir und packt seine Koffer, wie damals dein Vater!
Das würde er nie tun, widersprach ein anderer Teil meines Verstandes. Er ist ganz anders als mein Vater. Ich drehte mich um, vergoss meine Tränen ins Kopfkissen und gönnte mir noch fünf Minuten im Bett, bevor ich aufstand.
Als ich auf der Toilette saß, spähte ich durch meine leicht geöffneten Beine. Mit den Blutschlieren, die in die Schüssel rannen, war wieder ein Monat dahin. Statistisch gesehen standen die Chancen jeden Monat aufs Neue 50:50. Es gab nur Top oder Flop, Kopf oder Zahl. Und ich benahm mich wie eine verzweifelte Spielerin, die in der Überzeugung, jede Pechsträhne ginge auch einmal zu Ende, am Roulettetisch ausharrte. In den vier Jahren – achtundvierzig, nein, inzwischen neunundvierzig Monaten –, in denen ich nun versuchte, schwanger zu werden, hatten sich doch bestimmt so etwas wie Karmapunkte angesammelt, die sich irgendwann positiv auf meine Trefferwahrscheinlichkeit auswirken mussten. Nächsten Monat würde es ganz sicher klappen, oder?
Solange du so fertig bist, sicherlich nicht, schalt mich mein Körper höhnisch. Das Glück lacht nur den Glücklichen.
Mit einer frischen Super-Maxi-Binde im Schlüpfer tappte ich aus dem Badezimmer und ging die Treppe hinunter in Richtung Küche.
Aus dem Spiegel im Flur erhaschte ich das Bild einer Frau mit geröteten und geschwollenen Augen. Ich blieb
Weitere Kostenlose Bücher