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Die Nebel von Avalon

Titel: Die Nebel von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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kleinen Kinder an der Mutterbrust hungerten, er lebte im Überfluß. Er konnte mit jeder Frau des Stammes zusammenliegen, damit er, der Stärkste und Beste, die Kinder zeugte. Die Mutter des Stammes war oft zu alt, um selbst Kinder zu gebären, und so konnte er auch seine Wahl unter den Jungfrauen treffen. Kein Mann des Stammes widersetzte sich seinen Wünschen. Und wenn das Jahr vergangen war… in jener Zeit wiederholte sich das Jahr für Jahr… legte er das Hirschgeweih an und trug einen Umhang aus ungegerbten Hirschfellen, damit die Hirsche ihn für einen der ihren hielten. Und wenn die Mutter Jägerin den Zauber über sie warf, der sie in wildem Lauf durch das Gehölz brechen ließ, rannte er mit dem Wild. Aber dann hatte das Rudel bereits den Hirschkönig gewählt. Manchmal witterte der Hirschkönig den Fremden, griff ihn an, und der Gehörnte mußte sterben.«
    Morgaine spürte wieder, wie es ihr eiskalt über den Rücken lief – wie auf dem Berg, als sie dieses Ritual mit geschlossenen Augen erlebte.
Der Jahreskönig muß für das Leben seines Stammes sterben.
Wirkte das Mittel immer noch, da sie immer noch alles so deutlich vor sich sah?
    »Die Zeiten haben sich geändert«, sprach Viviane ruhig weiter, »und die alten Rituale werden nicht mehr gebraucht. Die Gerste wächst, und das Opfer ist unblutig. Nur in Zeiten großer Gefahr fordert der Stamm einen solchen Führer. Raven hat gesehen, dies ist eine Zeit größter Gefahr. Und deshalb findet die Prüfung wieder statt. Einer wird sein Leben für sein Volk wagen, damit es ihm bis in den Tod treu ist… Du hast mich von der Großen Ehe sprechen hören…« Morgaine nickte. Ja, Lancelot war daraus hervorgegangen. »Den Stämmen des Feenvolks und allen Stämmen des Nordens wurde ein großer Führer geschenkt. Der Auserwählte wird sich dem alten Ritual unterziehen. Wenn er die Probe überlebt… in gewisser Weise hängt das auch von der Kraft ab, mit der die Jungfräuliche Jägerin ihren Zauber über die Hirsche werfen kann… wird er der Gehörnte sein, der Hirschkönig, der Gefährte der Jungfräulichen Jägerin, und er wird mit dem Geweih des Gottes gekrönt werden. Ich habe dir vor vielen Jahren gesagt, daß deine Jungfräulichkeit der Göttin gehört. Jetzt verlangt die Göttin sie als Opfer für den Gehörnten Gott. Du sollst die Jungfräuliche Jägerin sein, die Braut des Gehörnten Gottes. Für diesen Dienst bist du auserwählt.«
    Im Raum war es sehr still… so still wie beim Ritual in der Mitte der Ringsteine. Morgaine wagte nicht, das Schweigen zu durchbrechen. Schließlich neigte sie den Kopf; sie wußte, Viviane wartete auf ein Wort der Zustimmung. Und wie hatte sie vor so langer Zeit gesagt?
Es ist eine zu schwere Bürde, geboren zu werden, um sich dem Schicksal zu widersetzen…
    »Mein Körper und meine Seele gehören der Göttin. Ihr Wille geschehe«, flüsterte Morgaine. »Und Euer Wille ist ihr Wille, Mutter.«

15
    Morgaine hatte Avalon bisher nur zwei- oder dreimal verlassen. Es waren nur kurze Reisen ins Umland des Sommersees gewesen, um die heiligen Stätten kennenzulernen, die trotz der Entweihung durch die Christen ihre alten Kräfte bewahrten.
    Zeit und Ort bedeuteten ihr diesmal nichts. Man hatte Morgaine im Morgengrauen schweigend von der Insel gebracht, eingehüllt und verschleiert, damit kein ungeweihtes Auge die Geweihte sehen sollte.
    Man trug sie in einer geschlossenen Sänfte, damit nicht einmal die Sonne auf ihr Gesicht fiel. In weniger als einem Tag, nachdem sie die Abgeschiedenheit der Heiligen Insel verlassen hatte, verlor sie das Gefühl für Zeit, Raum und Richtung. Sie versank in ihr Innerstes und wurde sich dunkel der einsetzenden magischen Trance bewußt. Es gab Zeiten, in denen sie sich gegen die Verzückung wehrte. Jetzt öffnete sie ihren Geist weit der Göttin und flehte sie an, in sie, ihr Medium, einzudringen, Besitz von ihr zu ergreifen, von Körper und Seele, damit sie selbst in allem als die Göttin handelte. Es wurde Nacht. Ein beinahe voller Mond warf einen milden Schein durch die Vorhänge der Sänfte. Als die Träger anhielten, spürte Morgaine, wie der Mond sie in seinem kalten Licht badete. Es war wie ein Kuß der Göttin, und die beginnende Ekstase ließ sie beinahe ohnmächtig werden. Sie wußte nicht, wo sie sich befand, und es war ihr auch gleichgültig. Sie ging, wohin man sie führte – ohne Widerstand, blind, benommen und nur wissend, daß sie ihrem Schicksal entgegenging.
    Man brachte sie in

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