Die Nebel von Avalon
ein Haus und übergab sie einer Fremden, die ihr Brot und Honig brachte. Morgaine aß nichts. Sie würde fasten bis zum rituellen Mahl. Das Wasser trank sie durstig. Im Raum stand ein Bett, auf das die Mondstrahlen fielen. Die Frau wollte die Holzläden schließen, aber Morgaine hinderte sie mit gebieterischer Geste. Den größten Teil der Nacht verbrachte sie in Trance und spürte das Mondlicht wie eine sichtbare Berührung. Schließlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf, pendelte zwischen Schlafen und Wachen wie eine unruhig Wandernde. Seltsame Bilder blitzten in ihr auf – ihre Mutter, die sich über den blonden Eindringling Gwydion beugte, wobei ihre weißen Brüste und kupferroten Haare eher abweisend als einladend wirkten… Viviane… Morgaine war ein Opfertier, das die Herrin von Avalon an einem Seil führte. Sie hörte sich sagen:
Ihr braucht nicht zu zerren. Ich komme…
Raven, die lautlos schrie… plötzlich riß eine große gehörnte Gestalt, halb Mann, halb Tier den Vorhang zur Seite und kam mit großen Schritten in den Raum – Morgaine erwachte und setzte sich auf. Doch nur der Mond schien ins Zimmer, und die fremde Frau schlief ruhig neben ihr. Schnell legte sie sich wieder hin und schlief – diesmal traumlos und tief. Etwa eine Stunde vor der Morgendämmerung weckte man sie. Im Gegensatz zum Vortag war sie nicht mehr in dem benommenen Zustand der Trance.
Morgaine war hellwach und nahm alles sehr gut wahr: die kalte frische Luft; das Rosa, das den Nebel dort färbte, wo die Sonne später aufgehen würde; der scharfe Geruch der kleinen dunklen Frauen in ihren Umhängen aus schlecht gegerbten Häuten; alles trat deutlich hervor und leuchtete in strahlenden Farben, als komme es gerade aus der Hand der Göttin… Die dunklen Frauen flüsterten miteinander. Sie wollten die fremde Priesterin nicht stören. Morgaine hörte sie, verstand aber nur wenige Worte ihrer Sprache. Nach einiger Zeit kam die Älteste – die Frau, die sie am Vorabend begrüßt, hereingeleitet und in deren Bett sie die Nacht verbracht hatte – und brachte frisches Wasser. Morgaine dankte ihr mit einer Verbeugung – ein Gruß von Priesterin zu Priesterin – und fragte sich danach, weshalb sie das getan hatte. Die Frau war alt; ihre wirren, langen Haare, die von einer beinernen Spange zusammengehalten wurden, waren beinahe völlig weiß. Auf der dunklen Haut trug sie verblaßte blaue Zeichen. Auch ihr Gewand bestand aus fleckig gefärbten Häuten. Aber sie trug einen Umhang aus Hirschfellen darüber, bemalt mit magischen Zeichen, und an ihrem Hals hingen zwei Ketten – eine aus klaren Bernsteinperlen – selbst Viviane besaß keine schöneren – und die andere aus Hornplättchen und wundervoll getriebenen Goldstäben. Sie bewegte sich mit derselben Würde wie Viviane; und Morgaine wußte, sie war die Mutter des Stammes und die Priesterin des Kleinen Volkes.
Die Frau bereitete Morgaine auf das Ritual vor. Sie zog sie nackt aus, bemalte ihre Fußsohlen und Handflächen mit blauer Farbe. Sie erneuerte die Mondsichel auf der Stirn. Auf Brust und Bauch zeichnete sie die Linie des Vollmonds, und dicht über der dunklen Scham den schwarzen Mond. Kurz, beinahe gleichgültig, öffnete sie Morgaines Schenkel und tastete prüfend. Ohne verlegen zu werden, wußte Morgaine, was sie suchte; die Stammespriesterin nickte zufrieden.
Morgaine war unberührt. Dennoch verspürte sie einen Herzschlag halb genußvolle Angst. Gleichzeitig wurde ihr bewußt, daß sie schrecklichen Hunger hatte. Nun, sie hatte gelernt, ihn zu bezwingen, und nach einiger Zeit verschwand es auch.
Die Sonne ging auf, als die Frau Morgaine nach draußen führte. Sie trug wie die alte Frau einen Umhang mit den magischen Zeichen: der Mond und das Hirschgeweih. Sie spürte, wie die Farbe auf ihrem Körper die Haut spannte, und irgend etwas in ihr schien aus weiter Ferne verwundert und mit Verachtung auf diese Symbole eines Mysteriums zu starren, das weit älter war als die Weisheit der Druiden, in der man sie so sorgfältig unterwiesen hatte. Es dauerte nur einen Augenblick und verschwand dann sofort. Der Glaube zahlloser Geschlechter verlieh diesem Ritual seine eigene Kraft und Heiligkeit. Morgaine sah das runde Steinhaus hinter sich, vor ihr lag ein zweites und von dort führte man einen jungen Mann heraus. Sie konnte ihn nur undeutlich erkennen; die aufgehende Sonne schien ihr in die Augen. Sie sah nur, daß er groß und stark war und dichtes blondes Haar hatte.
Ist er
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