Die Nebel von Avalon
Ordnung der neuen weichen. Christus hat über die alten und falschen Götter triumphiert. Sie müssen sich von nun an seinem Namen beugen, denn der wahre Christus hat den Menschen gesagt:
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich. Es gibt unter dem Himmel keinen anderen Namen, durch den ihr gerettet werden könnt.
Und als ein Zeichen wollen wir alles, was einst den falschen Göttern geweiht war, weil die Menschen die Wahrheit noch nicht kannten, heute Christus darbringen und für den Dienst am Wahren Gott neu weihen…«
Aber Morgaine hörte nichts mehr: Plötzlich wußte sie, was sie planten…
Nein! Ich habe meine Gelübde der Göttin abgelegt. Ich darf diese Lästerung nicht dulden!
Sie wandte sich Raven zu und berührte die Priesterin am Arm. Selbst hier, inmitten der Menge, brach ihre wortlose Verständigung nicht ab.
Sie wollen die Heiligen Insignien der Göttin dazu benutzen, Gott anzurufen… den einen Gott… aber sie tun es im Namen dieses Christus, der alle Götter als Dämonen verdammt, wenn sie nicht in seinem Namen sprechen! Den Kelch, den die Christen in ihrer Messe gebrauchen, ist die Anrufung des Wassers, so wie die Schale, auf die sie ihr heiliges Brot legen, die heilige Schale der Erde ist. Wenn sie die uralten Dinge der Göttin benutzen, wollen sie damit ihren eigenen beschränkten Gott anrufen. Aber sie besudeln den Kelch mit Wein, anstatt ihn mit dem heiligen Wasser der heiligen Erde zu füllen, das aus der kristallklaren Quelle der Göttin fließt! Aus dem Kelch der Göttin, der Großen Mutter, dem Kessel von Ceridwen, werden alle Menschen genährt, und aus ihm erhalten alle Menschen die guten Dinge dieser Welt. Du hast die Göttin gerufen, du anmaßender Priester. Aber wirst du ihre Gegenwart ertragen können, wenn sie sich zeigt?
Morgaine faltete die Hände zur zweiten leidenschaftlichsten Anrufung ihres Lebens:
Ich bin deine Priesterin, o Mutter! Ich flehe dich an, mache mich zum Werkzeug deines Willens!
Morgaine spürte, wie sich die Macht auf sie herabsenkte. Sie spürte, wie sie größer und größer wurde, während die Macht ihren Körper und ihre Seele erfüllte. Sie bemerkte nicht mehr, daß Ravens Hände sie hielten, sie wie den Kelch mit dem heiligen Wasser des Heiligen Geistes füllten…
Morgaine schritt vorwärts und sah, wie Patricius sprachlos vor ihr zurückwich. Morgaine fürchtete sich nicht, obwohl sie wußte, es bedeutete den Tod, die Heiligen Insignien unvorbereitet zu berühren – in einem entfernten Winkel ihres klaren Bewußtseins dachte sie…
Wie ist es Kevin gelungen, den Bischof vorzubereiten? Hat er ihm auch dieses Geheimnis verraten…?
Morgaine wußte mit unerschütterlicher Sicherheit, ihr ganzes Leben war eine Vorbereitung auf diesen Augenblick gewesen, denn jetzt hob sie als Göttin den Kelch mit beiden Händen empor. Später hörte sie, daß manche sagten, eine Jungfrau in schimmernden weißen Gewändern habe den Heiligen Kelch durch den Raum getragen. Andere behaupteten, ein brausender Wind habe die Halle erfüllt, und man habe den Klang vieler Harfen gehört… Morgaine wußte nur, daß sie den Kelch mit beiden Händen hob, und daß er wie ein großer funkelnder Juwel, wie ein Rubin, wie ein lebendes, schlagendes Herz in ihren Händen aufglühte und pulsierte… Sie trat vor den Bischof.
Er fiel vor ihr auf die Knie, als sie flüsterte: »Trinke! Dies ist der Heilige Geist…«
Patricius trank, und sie fragte sich flüchtig, was er wohl sah. Aber er blieb zurück, während sie weiterging, oder der Kelch sich bewegte und sie mit sich zog… sie wußte es nicht. Sie hörte das Rauschen vieler Flügel, das ihr voraneilte; sie roch einen süßen Duft, der weder Weihrauch noch Parfüm war… Später sagten manche, der Kelch sei unsichtbar gewesen. Andere behaupteten, er habe geglänzt wie ein großer Stern und jeden geblendet, der ihn ansah… Jeder in der Halle fand auf seinem Teller das, was er am liebsten aß… diese Geschichte hörte sie später wieder und wieder, und dies war das Zeichen, daß sie wirklich den Kessel von Ceridwen in den Händen gehalten hatte.
Aber für andere Geschichten hatte sie keine Erklärung und brauchte auch keine.
Sie ist die Göttin, und ihr Wille geschieht…
Als sie vor Lancelot stand, hörte sie ihn ehrfurchtsvoll flüstern: »Seid Ihr es, Große Mutter? Oder träume ich…?«
Und von unaussprechlicher Zärtlichkeit erfüllt, setzte sie den Kelch an seine Lippen. Heute war
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