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Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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mehr Kraft als Geschick verfügten, hatten seinen exotischen Finten und Attacken kaum etwas entgegenzusetzen. Die meisten waren tumbe Kerle, die es meisterhaft verstanden, einen Zweihänder oder das Beil zu schwingen, doch die Feinheiten der Fechtkunst waren ihnen fremd. Mühelos drang Faustus’ schmale Klinge zwischen ihren Abwehrhieben hindurch, durchbohrte Lederharnische, hieb durch wollene Wämser und fand ihren Weg an Halskrausen vorbei in Kehlen und Schlagadern. Bald hielten die ersten Gegner Abstand zu ihm, wandten sich lieber den päpstlichen Gardisten zu. Doch auch sie waren den Anhängern des Borgia überlegen. Was die Kampfkraft der einzelnen Männer anging, so war es ein ungleicher Kampf. Allerdings hatten die Borgiakrieger den Vorteil, dass ihnen das Terrain – die Hallen und verwinkelten Gänge des Palastes – vertraut war. Sie nutzten Ecken und verborgene Türen hinter Wandteppichen für Hinterhalte, brachen urplötzlich über einzelne Trupps der Angreifer herein und machten sie von hinten nieder. Faustus erlebte eine solche Attacke mit, und nur durch Glück gelang es ihm und zwei weiteren Gardisten, mit dem Leben davonzukommen. Fünf ihrer Gefährten fielen im Handgemenge, und erst als sich der Kampf länger hinzog, gewannen der Doktor und seine beiden Mitstreiter die Oberhand.
    Schließlich gellte der Triumphruf der Päpstlichen durch die Flure: »Die beiden unteren Stockwerke sind unser. Der Rest von ihnen hat sich nach oben zurückgezogen.«
    »Hat jemand den Borgia gesehen?«, fragte Faustus.
    »Nein«, bekam er zur Antwort. »Er hat sich in seinen Gemächern verkrochen.«
    Faustus und seine beiden Gefährten, die gerade erst gemeinsam den blutigen Hinterhalt überstanden hatten, sahen einander an und nickten.
    »Ihr seid ein guter Kämpfer, Doktor Faustus«, sagte einer der beiden anerkennend, als sie sich der nächstbesten Treppe nach oben zuwandten. »Mancher von uns könnte von Euch lernen.«
    Faustus schüttelte den Kopf. »Noch ehe der Tag sich dem Ende zuneigt, werde ich Euer Feind sein, nicht Euer Lehrmeister. Ihr werdet mich jagen und töten wollen.«
    »Niemals«, sagte der zweite Mann im Brustton der Überzeugung.
    Doch Faustus wandte nur den Blick ab und lächelte bitter.
     
    Beim Klang der Glocke waren die sechs Bewaffneten aus der Folterkammer gestürzt und hatten Angelina und mich der Obhut der beiden Folterknechte überlassen. Der eine Mann hatte die Kneifzange einen Moment lang sinken lassen, als das Alarmläuten durch den Palazzo hallte, doch nun, da die Soldaten fort waren, hob er die Zange wieder und öffnete ihre stählernen Kiefer.
    Angelinas Augen achteten nicht auf den Folterknecht, nicht einmal auf die Zange. Sie blickte nur mich an, der ich in meinen Fesseln tobte, sah mich an, als wäre ich ihre letzte Hoffnung.
    Die Zange näherte sich ihrer linken Brustwarze.
    Ruhig! durchfuhr es mich. Reiß dich zusammen! Die Leute schimpfen dich nicht umsonst einen Zauberlehrling!
    Meine Bewegungen erschlafften. Mit ungeheurer Willensanstrengung konzentrierte ich mich ganz auf den Hinterkopf des Mannes mit der Zange. Es war nicht leicht, ich musste dazu meine Furcht um Angelina aus meinen Gedanken verdrängen. Es gelang mir nicht gänzlich, und doch entsann ich mich all der Dinge, die der Meister mir beigebracht hatte auf unseren endlosen Ritten durch die einsamen Täler der Alpen. Er hatte mich die Grundzüge der geistigen Beeinflussung gelehrt, und obgleich er selbst sie nur unzulänglich beherrschte, hatte er doch ein gewisses Talent dafür in mir erkannt. Um ehrlich zu sein, ich hatte nie viel darauf gegeben. Ein-, zweimal hatte ich es versucht, um einer Schankmaid in irgendeinem Landgasthof näher zu kommen – der einzige sinnvolle Zweck, den ich zu Beginn meiner Lehrzeit in derartigen Kräften sah –, doch es war mir niemals völlig gelungen. Und als meine Gefühle für Angelina stärker wurden, verlor ich gänzlich den Spaß an derlei flüchtigen Vergnügungen.
    Jetzt aber versuchte ich es erneut. Die Todesangst um meine Gefährtin gab mir die Kraft, die mir früher gefehlt hatte. Ich spürte, wie meine Gedanken in den Kopf des Folterknechts eindrangen. Der Mann erstarrte mitten in der Bewegung, kurz bevor er die offenen Zangenkiefer um Angelinas Brustwarze schließen konnte. Der zweite Mann bemerkte es und fragte etwas auf Italienisch, das ich nicht verstand. Als sein Kumpan keine Antwort gab, trat er auf ihn zu und berührte ihn am Arm. Meine Gedanken formten eine

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