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Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Titel: Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ulrich Wehler
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der sich nach der Union der beiden Inselkönigreiche unter dem Anprall der Modernisierungseinflüsse aus dem höher entwickelten England beschleunigte, schärfte den Blick für die kontextabhängige, konkrete historische Natur der Sozialhierarchie.
    2. Seit der Puritanischen Revolution, dem englischen Bürgerkrieg der 1640er Jahre, wirkten Gleichheitsideen als ideelles Ferment weiter. Denn der linke Flügel der Puritaner, namentlich die «Levellers» und «Diggers», hatte die christliche Vorstellung von der Gleichheit aller Seelen vor Gott in das kühne Postulat der Gleichheit aller Gläubigen auf Erden übersetzt. Seither ist diese Utopie als effektiver Stachel säkularisierter, demokratischer Gleichheitsideen nicht mehr verschwunden.
    3. Die moralphilosophische Idee einer Naturgeschichte der Menschheit als zielgerichteter, progressiver Evolutionsprozess lenkte die Aufmerksamkeit auf die Vergänglichkeit der überlieferten Sozialordnung, aber auch auf die erstrebenswerte Zukunft einer sich neu ausdifferenzierenden Gesellschaft.
    Frühzeitig ist bei den großen Schotten, dann auch in der Sozialtheorie der englischen und französischen Politischen Ökonomie eine folgenreiche Vorentscheidung gefallen, die für Smith und Ferguson ebenso grundlegend war, wie später für Karl Marx und Lorenz v. Stein, ja eigentlich für fast alle soziologischen «Klassiker» seither. Die Hierarchie der Sozialen Ungleichheit wurde von ihnen in engster Verbindung mit der historischen Natur des jeweils dominierenden Wirtschaftssystems konzeptualisiert. Daran haben auch Max Weber, Émile Durkheim und Vilfredo Pareto ebenso festgehalten wie bedeutende Sozialwissenschaftler in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, etwa Talcott Parsons und Pierre Bourdieu. Selbst die abstrakte Systemtheorie von Niklas Luhmann und die Sozialphilosophie von Jürgen Habermas haben auf diesen Nexus nicht verzichtet.
    Im historischen Kontext des ausgehenden 18. Jahrhunderts stand für die schottischen und englischen Sozialtheoretiker der Zerfall der überkommenen Ständeordnung unter dem Druck der voranschreitenden kapitalistischen Marktwirtschaft als Schlüsselerfahrung im Vordergrund. Für die aufgrund dieser Dynamik neu entstehenden sozialen Formationen begann sich seither die Klassensprache einzubürgern, welche der beispiellosen Veränderung mit einer neuen Begrifflichkeit Rechnung tragen wollte. Dieser Entwicklung lag, wie es schien, die realistische Einsicht in den unauflöslichen Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Sozialverfassung zugrunde, der wie eine Art von historischem Zwillingsphänomen wirkte.
    Damit wurde jedoch, im Gegensatz zu einer göttlich sanktionierten Sozialordnung auf Erden, die durch und durch weltliche Übermacht einer neuartigen wirtschaftlichen Entwicklung anerkannt, deren Motorik die eigentliche ungleichheitsgenerierende Kraft zugeschrieben wurde. Marktmacht, nicht mehr Adelsrang oder Berufsstand, bestimmte jetzt, dieser Sicht zufolge, die Distribution des Sozialprodukts und die gesellschaftliche Position. Darauf hätten sich Smith und Ferguson mit David Ricardo und William Stuart sofort einigen können. Hier bestand auch Konsens mit der Wirtschafts- und Gesellschaftslehre der französischen Physiokraten um François Quesnay, die ebenfalls, wie auch die politischen Intellektuellen der amerikanischen «Gründungsväter»-Generation, in der wirtschaftlichen Entwicklung einen kraftvollen Motor der gesellschaftlichen Veränderung erblickten.
    Auch in den deutschen Staaten haben sozialtheoretisch interessierte zeitgenössische Beobachter frühzeitig und scharfsichtig die aus der englischen und französischen Diskussion stammende Klassensemantik seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert übernommen, um zwei irritierende neuartige Phänomene mit dieser modernen Begriffssprache einzukreisen. Zum einen ging es ihnen um die ringsum sichtbare Entstehung eines besitzlosen Landarbeiterproletariats, dessen Wachstum mit dem Vordringen des Agrarkapitalismus und der beschleunigten Kommerzialisierung der Landwirtschaft, insbesondere im ostelbischen Deutschland, den Zusammenhang zwischen marktwirtschaftlichem und sozialstrukturellem Wandel demonstrierte. Zum anderen ging es ihnen um die Entstehung einer gewerblichen, schließlich frühindustriellen, meist städtischen Lohnarbeiterschaft, die im Umkreis der Verlage, Manufakturen und Fabriken unübersehbar rasch expandierte, während allerorts, in der Stadt wie auf dem Lande, die spätständische

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