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Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition)

Titel: Die neue Umverteilung: Soziale Ungleichheit in Deutschland (Beck'sche Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Ulrich Wehler
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Gestaltungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie bewähren, die sich freilich als Interventions- und Sozialstaat einer äußerst schwierigen Aufgabe gegenüber sieht. Ihre Lösung verlangt ein exzeptionelles Maß an Lernfähigkeit und Entscheidungskraft. Werden sie vorhanden sein?
    Für beides: für die aufklärende Diskussion wie für das praktische Handeln sind möglichst genaue historische Kenntnisse von Nutzen, ja unentbehrlich. Bleibt doch die Geschichte – dies erneut gegen die geläufige Skepsis – das einzige Erinnerungs- und Denkmaterial, aus dem wir lernen können, denn allein Gegenwartskonstellationen und Zukunftsprojektionen reichen dafür nie aus. Historische Kenntnisse belehren über den gewöhnlich langsamen Gang der sozialen Evolution, die indes manchmal auch durch Katarakte beschleunigt hindurchgepresst wird. Sie belehrt darüber, wie sich mit der modernen Marktwirtschaft auch die Marktgesellschaft Schritt für Schritt durchgesetzt hat, in der die «marktbedingten Klassen» (Max Weber) die überkommenen ständischen Formationen effektiv verdrängt haben. Denn in dieser Marktgesellschaft entscheiden zusehends Marktprinzipien über die Zuteilung von Lebenschancen und Lebensrisiken, da die erdrückende Mehrheit der Erwerbstätigen ihre denkbar unterschiedlichen Leistungskapazitäten auf Arbeitsmärkten anbieten muss, von denen sie zu marktkompatiblen Preisen abgerufen – oder aber ausgespien und in jene «Versorgungsklassen» (M. R. Lepsius) abgedrängt werden, in denen sie von öffentlichen Transferleistungen abhängen.
    Sie belehren aber nicht zuletzt auch darüber, wie außerordentlich schwierig es ist, durch staatliche Steuerung die Ungleichheitsdistanz in der Sozialstruktur zu vermindern, etwa durch das Bildungswesen und das Steuerrecht, durch allerhand Transferleistungen und Förderungssysteme. All diese Anstrengungen mögen bereits am Mangel einsetzbarer materieller Ressourcen scheitern, da falsche Präferenzentscheidungen, etwa in Gestalt obskurer Subventionsleistungen, zu viele Mittel anderswo binden. Sie können aber auch an der kulturellen Hemmschwelle einer abwehrenden Mentalität oder eines feindseligen Habitus auflaufen: Die konstante Ablehnung höherer Bildung hält etwa die Kinder aus den Familien ungelernter Arbeiter von den Gymnasien und Universitäten trotz aller Bemühungen der Bildungsreformer weiterhin fern. Diese soziokulturellen Barrieren in den Köpfen der Menschen sind ungleich schwerer zu beseitigen als die Hindernisse im Gesetzgebungsprozess, wenn etwa überfällige Studiengebühren mit einem großzügigen Stipendiensystem auf Darlehensbasis verkoppelt werden sollen.
    Einem Irrglauben muss man freilich so schnell wie nur irgend möglich abschwören. Das ist die verbreitete Vorstellung, dass die Märkte einer Wachstumsgesellschaft von sich aus für eine gleichmäßige Verteilung des Wohlstandes sorgen. Unstreitig ist der moderne Markt eine ingeniöse soziale Erfindung, die mit einem weltumspannenden Kommunikationssystem Nachfrage und Angebot koordiniert, Versorgungslücken mitteilt, Warnsignale sendet. Bisher ist keine überlegene Alternative entwickelt worden, die sich abseits des papiernen Entwurfs realiter bewährt hätte. Das radikale Scheitern der staatlichen Zentralplanwirtschaft ist das letzte Beispiel einer unterlegenen Option. Eins aber vermag der funktionstüchtige Markt nicht: nach der von ihm erzeugten Wohlstandssteigerung von sich aus auch noch zielstrebig Soziale Ungleichheit zu verringern. Um mehr kann es nicht gehen, da die Utopie der Gleichheit aller durch die Hierarchie jeder bekannten Gesellschaft, in der sich unterschiedliche Begabungen und Fähigkeiten, unterschiedliches soziales und kulturelles Kapital auswirken, dementiert wird. Verringern kann die Ungleichheitsdistanz nur der mächtigste Akteur: der moderne Staat. Seit dem späten 19. Jahrhundert hat der Interventions- und Sozialstaat bewiesen, dass er dank der Unterstützung durch die großen politischen Parteien, mithin durch seine parlamentarischen Hilfstruppen, imstande ist, den ursprünglichen wildwüchsigen Privatkapitalismus durch ein Regelwerk zu zähmen, so dass er in den Dienst eines sozialstaatlichen Ausgleichs gestellt werden kann. Eben eines solchen Regelwerkes bedürfen auch der globale Kapitalismus und erst recht das System der internationalen Finanzmärkte, wie die Entwicklung seit dem Herbst 2008 jedermann demonstriert hat.
    Die Crux ihrer Regellosigkeit kann ohne jeden

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