Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
Säulen, chinesische Seide für die Vorhänge, elsässische Kacheln für das Kuppelmosaik, libanesisches Zedernholz für die Intarsien – für damalige Verhältnisse astronomische zwei Millionen Dollar kostete der Prachtbau. Allerdings währte die Blüte der Stadt nur kurz, denn der brasilianische Kautschukboom fand ein plötzliches Ende, als die Briten den Weltmarkt mit Plantagenkautschuk aus ihren südostasiatischen Kolonien überschwemmten, der sich noch dazu als qualitativ überragend erwies. Jahrzehnte zuvor hatte der Engländer Henry Wickham Kautschuksamen vom Amazonas nach London gebracht, womit dann in Südostasien Plantagen aufgebaut wurden. Mit einem Mal war der Rohstoff aus dem eigentlichen Mutterland unattraktiv geworden und blieben die Händler auf ihren Kautschukballen sitzen, die so mühsam aus den weit im Amazonas verstreuten Urwaldbäumen abgezapft worden waren. Manaus’ Stern sank ins Bodenlose, der europäische Lebensstil war mit einem Mal unerschwinglich, die Prachtbauten der Stadt verfielen. Aber auch in malerisch-abgehalftertem Zustand kündet die Regenwald-Metropole noch heute von ihrer glanzvollen Vergangenheit.
Mit Brasília, der heutigen Hauptstadt Brasiliens, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein lang gehegter brasilianischer Traum Wirklichkeit: eine Metropole im Inneren des riesigen Landes zu gründen, auch um dort die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln. Der Plan dafür wurde bereits 1891 in die brasilianischeVerfassung geschrieben, und schon bald darauf wählte man ein geeignetes Gebiet aus. Zum einhundertsten Jubiläum der Unabhängigkeit wurde der Grundstein gelegt, aber damit kam das Mammutprojekt noch immer nicht in die Gänge. Erst 1956 machte der neu gewählte Staatspräsident Juscelino Kubitschek mit der Umsetzung ernst, profitierend von einem wirtschaftlichen Aufschwung nach Ende des Krieges. In kurzer Zeit musste die neue Hauptstadt errichtet werden, weil sich ihr Schicksal mit dem Präsidenten verband, der nur über eine fünfjährige Amtszeit verfügte. Mit den wichtigsten Bauten wurde der Le-Corbusier-Schüler Oscar Niemeyer betraut, der der neuen Hauptstadt ihr bis heute hochmodern und zugleich zeitlos anmutendes Aussehen gab. Mit der Kathedrale und dem Parlamentsgebäude als Zentralbauten der kreuzförmig angelegten Planstadt schuf er architektonische Meisterwerke der Moderne. Bereits 1960 konnte die neue Hauptstadt eingeweiht werden; die Regierung zog von Rio de Janeiro ins Landesinnere. Allerdings ging das Konzept einer gleichzeitig monumentalen und humanen Stadt nicht so auf wie geplant, auch die Regierungsbeamten mussten schließlich mit Zuckerbrot und Peitsche dazu gebracht werden, aus dem ungleich beliebteren Rio de Janeiro in die modernen Wohnsilos der nagelneuen Kapitale umzuziehen. Und die Favelas am Stadtrand unterscheiden sich nicht positiv von denen anderer brasilianischer Großstädte. Gleichwohl genießt Brasília bis heute Kultstatus unter den Anhängern des modernen Städtebaus.
Die Hafenstadt Rio de Janeiro schließlich, auf deren Territorium ursprünglich die Tamoio-Indianer lebten, wurde nach der Ankunft der Europäer zunächst ein Handelsstützpunkt für den Export von Brasilholz, später für Zuckerrohr. Abgesehen von fruchtlosen französischen Versuchen, hier einen Stützpunkt aufzubauen, bestimmten die Portugiesen den weiteren Kurs derSiedlung. Mit dem brasilianischen Goldboom des beginnenden 18 . Jahrhunderts erlebte die Stadt einen atemberaubenden Aufstieg. Der Hafen von Rio war einer der wichtigsten im Land für die Ausfuhr des in Minas Gerais gewonnenen Goldes, und die Stadt wurde zum maßgeblichen Finanzzentrum der Kolonie. Diese Karriere führte fast zwangsläufig dazu, dass Rio de Janeiro der alten Kolonialhauptstadt Salvador den Titel als Regierungssitz abnahm – das geschah 1763 . Rio war aber nicht nur fast zweihundert Jahre, von der Kolonialzeit bis weit in die Zeit der Unabhängigkeit hinein, die Hauptstadt Brasiliens. Von dort aus wurde außerdem Anfang des 19 . Jahrhunderts vorübergehend das umfängliche portugiesische Weltreich regiert. 1807 war nämlich das portugiesische Königshaus auf der Flucht vor Napoleon und den mit ihm verbündeten Spaniern mit einer umfangreichen Flotte in sein Kolonialreich aufgebrochen, um von dort aus wenigstens das zu regieren, was Napoleons Fängen entgangen war. 1822 , nachdem der König nach Lissabon zurückgekehrt war, erklärte sein Sohn die Kolonie vom Mutterland unabhängig und sich
Weitere Kostenlose Bücher