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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Wirklichkeit hat er selbst das Ganze inszeniert. Erinnern Sie sich: Im ganzen Buch beschäftigt Don Quijote die Frage der Nachwelt. Immer wieder fragt er sich, wie genau sein Chronist seine Abenteuer aufzeichnen wird. Das setzt ein Wissen seinerseits voraus. Er weiß schon von vornherein, dass dieser Chronist existiert. Und wer anders könnte das sein als Sancho Pansa, der treue Knappe, den Don Quijote zu genau diesem Zweck ausgesucht hat? Ebenso wählt er die drei anderen aus, damit sie die ihnen zugedachten Rollen spielten. Don Quijote organisierte das Benengeli-Quartett. Und er suchte nicht nur die Autoren aus; wahrscheinlich übersetzte er selbst das arabische Manuskript wieder ins Spanische. Wir sollten ihm das ohne weiteres zutrauen. Denn für einen Mann, der so geschickt war in der Kunst der Verstellung, kann es nicht schwer gewesen sein, seine Haut zu schwärzen und Maurenkleidung anzulegen. Ich stelle mir gern die Szene auf dem Marktplatz von Toledo vor. Cervantes beauftragt Don Quijote, die Geschichte von Don Quijote zu entziffern. Darin steckt große Schönheit.»
    «Aber Sie haben noch nicht erklärt, warum ein Mann wie Don Quijote sein geruhsames Leben aufgeben sollte, um einen so komplizierten Schwindel zu inszenieren.»
    «Das ist das Interessanteste von allem. Meiner Meinung nach stellte Don Quijote ein Experiment an. Er wollte die Leichtgläubigkeit seiner Mitmenschen auf die Probe stellen. Wäre es möglich, fragte er sich, vor die Welt hinzutreten und mit tiefster Überzeugung Lügen und Unsinn auszuspucken? Zu sagen, dass Windmühlen Riesen seien, ein Barbierbecken für einen Helm auszugeben und Puppen für wirkliche Menschen? Wäre es möglich, andere dazu zu überreden, ihm zuzustimmen, selbst wenn sie ihm nicht glaubten? Mit anderen Worten, in welchem Grade würden die Menschen Blasphemien hinnehmen, solange sie ihnen Unterhaltung verschafften? Die Antwort liegt auf der Hand, nicht wahr? In jedem beliebigen Grade. Der Beweis ist, dass wir das Buch noch immer lesen. Es ist für uns immer noch unterhaltsam. Und das ist schließlich alles, was man von einem Buch verlangt – dass es einen unterhält.»
    Auster lehnte sich auf dem Sofa zurück, lächelte mit einem gewissen ironischen Vergnügen und zündete sich eine Zigarette an. Der Mann amüsierte sich offenbar, aber die Besonderheit seines Vergnügens entging Quinn. Es schien eine Art von lautlosem Gelächter zu sein, ein Witz, der kurz vor der Pointe endete, eine allgemeine Fröhlichkeit, die kein Motiv hatte. Quinn wollte etwas zu Austers Theorie sagen, aber er hatte keine Gelegenheit mehr dazu. Als er eben den Mund öffnete, um zu sprechen, wurde er von dem Klirren von Schlüsseln an der Wohnungstür, dem Öffnen und Zuschlagen der Tür und lauten Stimmen unterbrochen. Auster blickte bei diesen Geräuschen rasch auf. Er erhob sich vom Sofa, entschuldigte sich bei Quinn und ging zur Tür.
    Quinn hörte Gelächter im Flur, zuerst das einer Frau, dann das eines Kindes – ein hohes und ein höheres, ein Stakkato von klingendem Schrapnell –, und dann den dröhnenden Bass von Austers Auflachen. Das Kind sagte: «Schau, Papa, was ich gefunden habe!» Und dann erklärte die Frau, dass es auf der Straße gelegen hatte – und warum auch nicht, es schien völlig in Ordnung zu sein. Einen Augenblick später hörte er, wie das Kind durch den Flur auf ihn zulief. Es stürzte ins Wohnzimmer, sah Quinn und blieb auf der Stelle stehen. Es war ein blonder Junge von fünf oder sechs Jahren.
    «Guten Tag», sagte Quinn.
    Der Junge, der sich rasch in seine Schüchternheit zurückzog, brachte nur ein schwaches «Hallo» zustande. In der linken Hand hielt er einen roten Gegenstand, den Quinn nicht identifizieren konnte. Er fragte den Jungen, was das sei.
    «Ein Jo-Jo», antwortete er und öffnete die Hand, um es ihm zu zeigen. «Ich habe es auf der Straße gefunden.»
    «Funktioniert es?»
    Der Junge zuckte pantomimenhaft übertrieben die Schultern. «Weiß nicht. Siri wird nicht damit fertig, und ich weiß nicht, wie es geht.»
    Quinn fragte, ob er es versuchen dürfe, und der Junge ging auf ihn zu und drückte es ihm in die Hand. Während er das Jo-Jo untersuchte, hörte er das Kind, das jede seiner Bewegungen beobachtete, neben sich atmen. Das Jo-Jo war aus Plastik und sah so ähnlich aus wie die, mit denen er vor Jahren gespielt hatte, aber irgendwie war es komplizierter, ein Produkt des Weltraumzeitalters. Quinn streifte die Schlinge am Ende der Schnur

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