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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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Nimbus
    8. Januar 1978
    Ich bin elf Jahre alt, um mich herum durch Katzenschnupfen und Räude ausgezehrte krumme Skelette, über denen sich die Haut spannt. Die Katzen sind voller Krankheiten, wenn man sie anfasst, kann man sterben. Jeden Nachmittag gibt die Schnur ihnen im Vorgarten etwas zu fressen. Ich begleite sie manchmal. Die Katzen kommen uns langsam und schwankend entgegen, schauen uns aus triefenden, eitrigen Augen an. Unter den Sterbenden habe ich mir die ausgesucht, der es am schlechtesten geht, diejenige, die hinten auf den schmalen geteerten Wegen bleibt, fast wie vom Erdboden verschluckt; sie hört die Schritte und bewegt langsam den Kopf, wie ein Blinder, der einem Lied lauscht. Vom Fell stehen nur noch einzelne schwarze Büschel auf der schrundigen Haut, eine Pfote baumelt verloren zwischen den anderen; sie hinkte schon, als sie klein war, jetzt ist sie groß, eine echte Krüppelkatze.
    Die Schnur stellt den Topf auf das Mäuerchen mit dem blassgrünen Eisengitter. Während sie mir den Rücken zuwendet, berühre ich das Eisengitter mit der Zunge, ich schmecke das Chlor des alten Lacks, den Rost, drehe mich um und schlucke. Ich nehme mit dem Löffel eine kleine Menge Nudeln mit Fleisch, gehe damit auf die verkrüppelte Katze zu, kauere mich neben sie und lasse sie das Fressen riechen. Sie kommt mit ihrem entstellten Gesicht näher, die Nase verschwindet im Dampf, dann nimmt sie mit zwei Zähnen einen Klumpen schwarzes Fleisch und fängt an, daran zu nagen. Die Schnur gibt mir ein Zeichen, sie nicht anzufassen, sagt, ich soll alles ausschütten und weggehen. Also mache ich einen
kleinen Vulkan aus den Nudeln; die Krüppelkatze nimmt es mit der Nase wahr, nagt dann hartnäckig weiter an dem Fleischklumpen, schiebt jeden Brocken durch die kaputten Zähne, windet den Kopf, um das Fleisch kleinzukriegen und zu schlucken, um die Nahrung in Blut zu verwandeln. Als sie fertig ist, kauert sie sich mit der Schnauze auf die Erde, vor den feuchten kleinen Vulkan, das verehrungswürdige Götzenbild. Sie hat keinen Hunger mehr, durch den Fächer ihrer Rippen dringt ein asthmatisches Pfeifen. Ich berühre sie mit der Spitze des Löffels, sie regt sich nicht, ihrer Kehle entweicht ein Gurren, wie bei einer Taube. Sie schafft es noch zu gähnen, macht das Maul auf und schnappt nach Luft. Dann sackt sie endgültig zusammen, den Kopf in der Mitte eines Lichtflecks.
    Hinter mir die letzten Kratzgeräusche des Schöpflöffels im Topf. Seit Jahren macht die Schnur um diese Zeit im Garten vor dem Haus den Topf mit dem Schöpflöffel leer - eine eifrige Bewegung von Schulter Arm Hand -, lässt auf der Erde kleine Nudelhaufen wachsen, ruft, indem sie mit der Zunge schnalzt, wirft einen Blick in die Runde, um zu sehen, ob es so gut ist, ob es reicht, während die Katzen sich aus allen Richtungen zum Fressen schleppen. Dann geht sie zurück, den verkrusteten Schöpflöffel in der einen Hand, den Topf in der anderen: Schwert und Schild.
    Jetzt ist sie fertig und hat sich auf eine kleine Bank gesetzt; sie ruht sich aus. Unauffällig ziehe ich das Stück Stacheldraht aus der Jackentasche und presse die Stacheln in den Rücken der Krüppelkatze, da, wo sie kein Fell mehr hat. Die Haut wird kurz eingedrückt, glättet sich dann wieder; die Katze regt sich nicht, ihr Kopf schwankt ein wenig, das ist alles. Ich verstärke den Druck, und die verkrüppelte Katze schüttelt sich, eine kurze Nervenkrise, ein Aufzucken stumpfer Entrüstung, das nach ein paar Sekunden erlahmt, und sie versinkt wieder in ihrer alten Haltung.
    Ich stehe auf, stecke den Stacheldraht in die Tasche, gehe weg, und da ertönt hinter mir ein grauenhafter Schrei. Ich drehe mich um, und die Krüppelkatze steht auf allen vieren, tut einen Schritt,
dann noch einen, und bei jeder Bewegung fällt ihr der Kopf nach vorn, um dann wieder zurückzuschnellen und zu erzittern. Sie fängt an, im Kreis zu gehen, und miaut erneut, angewidert.
    Sie ist verrückt geworden, sagt die Schnur hinter mir. Das passiert oft, wenn Katzen blind werden.
    Ich bleibe still und beobachte, wie sie immer schneller im Kreis geht. Ich spüre die Sonne auf einer Wange.
    Das macht sie jeden Tag, fügt die Schnur hinzu. Nach dem Fressen.
    Die Krüppelkatze geht blind und starr weiter, atmet den Schleim ein. Sie dreht noch eine Runde und stößt ein raues Miauen aus; dann bleibt sie stehen, fällt in sich zusammen, kauert sich hin, fängt wieder an, mit dem Kopf zu schlagen; sie sagt, ja, ja, so ist es,

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