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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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hast Du mich damals nicht gehen lassen? Hattest Du Angst, bestraft zu werden? In Deinem Brief schreibst Du, Du würdest noch immer zu Deinem Beschluß stehen, aber ich sitze hier, Herrgott noch mal, zwischen Kriegsgefangenen und Deserteuren! Du hast dagesessen und geschrieben, Du hast mich angegafft, wie die Dörfler hier. Du schreibst, Du würdest jederzeit eingreifen, wenn Du Zeuge eines Mordversuchs würdest. Daß Du mich vor weiterem Blutvergießen bewahrt hast,indem Du mich aus dem Kampf gezogen hast. Aber was ist mit dem Blut meiner Kameraden? Sie fallen jeden Tag, ich habe ihnen nicht helfen können, und jetzt liegt die Front zu weit entfernt für Eure Krankenwagen.
    Auf dem belgischen Feld verlor ich meine Ehre, meine Pflicht und mein Pferd. Weil die beiden erstgenannten Begriffe Dir nichts sagen, bitte ich Dich noch einmal: Suche mein Pferd. Du hast die Beschreibung. Es ist meine einzige Hoffnung auf Genesung.
     
    Ich warte,
    Egon

1
    Ich nahm den Umschlag von der Fensterbank. Die über Dampf geöffnete Klappe hatte sich gewellt. Um sie unauffällig wieder zuzukleben, mußte ich behutsam vorgehen, aber jetzt noch nicht, vielleicht würde ich den Brief am nächsten Morgen noch einmal lesen wollen. Ich machte den Petroleumofen aus. Diese Nacht war kälter als die vorige, doch tief am Himmel stand ein Mond von der Farbe geschmolzener Butter. Ich schob meine Hand über den Venushügel abwärts. Immerzu spürte ich dieses pochende Gefühl, das aufhörte, sobald ich die Beine überschlug. Mir tat nichts weh. Mich hatte lediglich seine Hitze erschreckt. Er hatte mich mit einer Hand an den Korsettbändern festgehalten und mir den Rock heruntergezerrt. Ich spürte erst seinen Schoß, danach wie beiläufig sein Glied. Ich hätte nie gedacht, daß es so hart sein würde. Eigentlich war ich zu erstaunt, um Schmerz zu fühlen, erstaunt, daß er alles an mir blind finden konnte. Er zog mein Becken an seines, als würde er sich in den Sattel schwingen. Und erstaunt blieb ich, während ich an Loubna dachte, die Wüstenstute, die diesem Mann ebenfalls gehorchte, ihm aber doch Zärtlichkeit entlockte. Ich wollte mich umdrehen, um ihn zu küssen, wie sich das, fand ich, gehörte. Er fand das nicht. Er hielt mich mit seinem rechten Arm umklammert. Dem starken, bewaffneten. Während er mich immer tiefer ausfüllte, sah ich, wie sich seine Faust entspannte und vorsichtig um meine Brust schloß.
    Er wollte nicht, daß ich ihn zärtlich stimmte. Das merkte ich auch, als wir nebeneinander auf dem Bett lagen. Irritiert hatte er nach einer Zigarette gesucht, nach Streichhölzern, hatte Rauch ausgeblasen, meinen Blick gemieden. Ganz kurz hatte er die Hand auf meinen Bauch gelegt, dann wieder an seinen Mund geführt, um weiter zu rauchen. Ich sah ihn staunend an. Sein rechter Oberschenkel war übersät mit Narbengewebe. Er war muskulös, doch aus seiner Schulter waren Stücke herausgeschnitten. Daß ich diesen großen, lädierten Mann in mir gehalten hatte, stimmte mich euphorisch. Ich hatte das Fluten gespürt, nachdem er die Selbstbeherrschung verloren hatte. Er schlief mir nichts, dir nichts ein. Die meisten Menschen werden zu zufriedenen Kindern, wenn sie schlafen, er sah tiefunglücklich aus.
    Es war bereits dunkel, als ich sein Zimmer verließ. Ich hatte den Rock vom Fußboden aufgehoben und gespürt, daß der Brief noch im Saum steckte. Draußen lag die Leinendecke noch auf dem Tisch. Alle hatten sich aus dem Staub gemacht. Ich war sicher, man hatte ausführlich darüber gesprochen, daß ich die Scheide für von Böttichers Säbel gewesen war, dieses Klischee hatten sie bestimmt benutzt. Nichts entging Raeren, in diesem kalten Haus glitt eine delikate Nachricht durch die Ritzen unter den Türen, über die Politur der Wände, entlang den Sprüngen in den Fensterscheiben, bis jemand sie zur Kenntnis nehmen, bis jemand sagen würde: »Das hab ich kommen sehen.«
    Wenn sie mir an jenem Abend begegnet wären, als ich die Treppe panisch hinaufrannte, die Kleider als Knäuel an meine Beine gedrückt, dann hätte ihnen ein halber Blick genügt. Während ich mir in dem Moment nur Sorgen wegen des Briefes machte. Der mußte unversehrt in mein Zimmer gelangen, vorsichtig über Dampf geöffnet werden, um Dinge zu erfahren, die er an jenem Abend mir gegenüber mit keinem Wort erwähnt hatte.
    Es dauerte eine Weile, bis das Wasser in der Schüssel heiß genug war. Als sich die Klappe löste, spürte ich wieder dieses Pochen. Seine Worte auf

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