Die niederländische Jungfrau - Roman
zu einem Männerbett paßte. Ich legte mein Kleid sorgfältig über einen Stuhl, während ich mich umsah. An der Wand hing ein Bild mit einem Pferdekopf, in Dreiviertelpose, wie ein Staatsporträt. In den Schränken waren die Bücher waagrecht gestapelt. Neben dem Schreibtisch stand ein Kupferrechaud mit einem kleinen Kessel, doch aus der Tasse-mit-Untertasse auf dem Schreibtisch war noch nicht getrunken worden. Ich setzte mich auf das kühle Leder der Sitzfläche, um die Korsettbänder zu schnüren. Der Stoff schloß sich sanft um meinen Körper, genau unterhalb meiner Brüste. Nur eine schmale Spitzenborte bedeckte meine Brustwarzen, mich vorzubeugen käme einem Skandal gleich. Jetzt richtig zuschnüren. Ob ich Leni um Hilfe bitten sollte? In den Garten gehen wie auf einem Delacroix-Gemälde? Das Mädchen im Spiegel glich einer Zigeunerin, mit ihrer Haut, die sich dunkel vom fleckenlosen Baumwollstoff abhob, und den Füßen einer Landstreicherin. Beim Umdrehen stieß ich einen Fotorahmen von der Kommode. Ein braver junger Mann. Wahrscheinlich tot. Es war einer dieser nichtssagenden Schnappschüsse von jemandem, der nicht lange genug gelebt hatte, um ein anständiges Porträt abzugeben. Dies war die Verewigung, mit der die Hinterbliebenen sich begnügen mußten. Es war keine Zeit gewesen, Alben mit Momenten aus seinem Leben zu füllen, in denen er im Gegensatz zu diesem Foto Emotionen hätte zeigen können, es gab nur diesen leeren Blick, dazu bestimmt, Tränen hervorzulocken. Die Rückseite gab mir recht. Thomas, † 1916 . Ich zog die obere Schublade auf. Lauter Kram. Zusammengefaltete Zeitungen, Bleistiftspäne, ein Rasierspiegel. Ein Album mit Gruppenfotos von der Mensur. Frankfurt, 1922, 1923. Bonn, 1924, 1925 . Paukanten mit Schnurrbärten und Deckelmützen, alle in der gleichen markigen Pose. Blutsbrüder. Um die untere Schublade aufzubekommen, mußte ich den Inhalt mit dem Finger herunterdrücken. Ich hatte es eilig. So wie ein Tier unruhig wird, in einem Raum, den es noch nicht erforscht hat, wird einem Menschen auf fremdem Terrain schlagartig bewusst, daß er beobachtet werden könnte. Eine kleine Schachtel mit einem Orden, nicht interessant. Ein fransiges Stück Karton, mit Latein beschrieben. Ein Foto – vier Herren spielen Schach im Freien. Kein Datum. Ein grüner Umschlag, Aufschrift: Poste Restante . Ein Umschlag, den ich wiedererkannte. Die achtlose Ärzteschrift. Förmlich adressiert, obwohl sie einander beim Vornamen genannt hatten. Ich vergaß zu atmen, als ich das vergilbte Dokument hervorzog. Von Bötticher hatte es mir nicht gezeigt, sondern unsanft im Kochbuch verschwinden lassen. Es war ein Stich, achtzehntes Jahrhundert, vielleicht noch älter. Irgend etwas mit Geometrie. In einen großen Kreis war der Körper eines Mannes gezeichnet, eine Hälfte bis auf den Knochen seziert. In einem kleineren Kreis daneben war sein Skelett im Profil abgebildet. Auf den Schnittflächen waren Fußabdrücke angebracht, ich konnte die lateinischen Bezeichnungen nicht entziffern. Die geometrischen Figuren waren von einem Kranz fechtender Männchen in den unnatürlichsten Posen umrahmt. Enttäuscht faltete ich den dazugehörigen Brief auseinander. Für meines Vaters Verhältnisse war er leserlich, er hatte sich alle Mühe gegeben, die Botschaft zu übermitteln.
Sollte es denn doch wahr sein, daß Erde, auf der ein Krieg gewütet hat, nur weiteren Kampf hervorbringen kann? Janna ist, das verrate ich Dir mit einer gewissen Scheu, am Ort der Schlacht gezeugt worden. Habe ich damit Grabschändung begangen? Das war nicht meine Absicht. Das Land lag zu diesem Zeitpunkt bereits friedlich da. Es war nichts mehr davon zu sehen, Wunden waren geheilt, das Gras hatte alles schön zugedeckt. Weich war es, und es roch frisch. Der Geruch des unbeirrbaren Lebens.
Was war das? Das Blut pochte unter meinem Brustbein. Sogar mit dem alten Foto meines Vaters im Kopf – ein flotter Mann, hatte Leni gesagt – wollte ich mir das nicht vorstellen. Nicht so, nicht dort, und schon gar nicht mit meiner Mutter. Meine Augen flogen über den Text.
Mit Handschuhen habe ich in einer verlassenen Bibliothek in Amsterdam darin geblättert, habe Notizen gemacht. Es ist ein erstaunliches Buch. Das ist Fechtwissenschaft! […] Es ist einfach die Wissenschaft des Nichtgetroffenwerdens – sicherlich keine einfache Materie, aber sie läßt sich studieren. Tu das, Egon. Bewahre Dich selbst, Dein Land, meinetwegen die ganze Welt vor
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