Das Mädchen am Rio Paraíso
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E s war zu hell.
Das Licht schmerzte. Es verursachte ein heftiges Pochen hinter ihrer Stirn. Die junge Frau schloss sofort wieder die Augen, doch die Sonnenstrahlen drangen durch ihre Lider und quälten ihr Hirn mit wilden Mustern in Gelb- und Orangetönen. Ihr wurde schlecht davon. Sie drehte den Kopf von der linken auf die rechte Seite und hoffte, dass der Schmerz und die Übelkeit sich legen würden. Sie verharrte einige Minuten reglos in dieser Stellung, aber es wurde nicht besser. Stattdessen gesellte sich zu dem Kopfweh nun auch ein schlechtes Gewissen. So hell wie es in dem Zimmer war, musste es bereits Mittag sein. Warum, um Gottes willen, lag sie um diese Zeit noch im Bett? Bevor sie darauf eine Antwort fand, erlöste ein unruhiger Schlaf sie von dem hämmernden Schmerz.
Einige Stunden später schlug die junge Frau erneut die Augen auf. Das Licht war weniger grell, und auch das grässliche Pochen in ihrem Schädel hatte sich ein wenig gelegt. Dafür verspürte sie jetzt einen unerträglichen Durst. Ihr Mund fühlte sich so trocken an, dass die Zunge am Gaumen festklebte. Sie brauchte dringend ein Glas Wasser. Sie versuchte sich zu erheben, doch es gelang ihr nicht. Nach nur wenigen Zentimetern, die sie ihren Oberkörper aufgerappelt hatte, fiel sie erschöpft in die Kissen zurück. Also blieb sie liegen und hoffte darauf, dass irgendwann jemand nach ihr sah. Vielleicht sollte sie sich bemerkbar machen? Sie hob zu einem Rufen an, merkte jedoch sofort, dass kaum mehr als ein leises Krächzen aus ihrer Kehle drang. Ihr blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten.
Im Liegen und ohne allzu sehr den Kopf zu bewegen, sah sie sich in dem Raum um. Sie war sich sicher, dass sie ihn nie zuvor gesehen hatte. Wo war sie?
Zwischen drei mächtigen schwarzen Holzbalken war die Decke weiß getüncht. Die Wände des Zimmers, oder das, was sie aus ihrer Position davon erkennen konnte, waren glatt und weiß. Kein Fachwerk. Kein Bild. Nicht einmal ein Kruzifix war da zu sehen. Das Sprossenfenster war einen Spaltbreit hochgeschoben. Vorhänge gab es keine. Einzig die Fensterläden hätten Schutz vor unerwünschten Blicken und Licht bieten können, wären sie denn geschlossen gewesen. So jedoch schien die Sonne in den schmucklosen Raum. Sie stand schon schräg, und ein Strahl fiel auf eine schlichte Kommode, auf der sich ein Krug sowie eine Waschschüssel aus Emaille befanden. Oh Gott, könnte sie es doch nur schaffen, aufzustehen und die wenigen Schritte zu dem Wasserkrug zu gehen! Der Durst brachte sie um!
Ihr kamen die Tränen. Doch bevor die junge Frau sich vollständig ihrer Verzweiflung hingeben konnte, betrat plötzlich eine dicke dunkelhäutige Frau das Zimmer. Sie lachte und entblößte dabei ihr Zahnfleisch. Es war bläulich und nicht rosa, wie ihr eigenes. Der jungen Frau war ein bisschen mulmig zumute. Sie hatte schon von Schwarzen gehört und gelesen, aber noch nie eine leibhaftige Negerin so nah vor sich gehabt. War sie etwa in Afrika gelandet? Aber nein, die Schwarze trug ja ein ordentliches Baumwollkleid und eine gestärkte Schürze darüber. Eine Wilde aus dem Busch war sie ganz sicher nicht.
Die Dicke plapperte unaufhörlich. Dann setzte sie sich auf die Bettkante, sah der jungen Frau in die Augen und sprach sie direkt an. Sie hatte eine wohlklingende Stimme, und ihr Tonfall war freundlich. Die junge Frau begann sich etwas zu entspannen, obwohl sie kein Wort verstand. Bei all ihrer beunruhigenden Fremdartigkeit hatte die Schwarze auch etwas Mütterliches an sich. Sie hatte sofort erkannt, wonach die junge Frau am meisten gierte: Wasser.
Die Ältere hielt ihr das Glas an die Lippen und hob es so, dass sie nur winzige Schlückchen trinken konnte. Nach kurzer Zeit war das Glas leer. Die Schwarze stand auf, sagte etwas zu der jungen Frau, streichelte ihre Hand und verließ den Raum. Als sie durch die Tür ging, bemerkte die Jüngere, dass die andere keine Schuhe trug. Das fand sie äußerst merkwürdig. Dieser Gedanke lenkte sie für einen Moment von der Tatsache ab, dass sie weiterhin so durstig war, dass sie einen ganzen Eimer Wasser auf einmal hätte leeren können. Dann schlief sie wieder ein.
Als sie, zum dritten Mal an diesem Tag, aufwachte, saß die Schwarze auf einem Stuhl neben ihrem Bett. Sie blickte besorgt drein, lächelte ihrer Patientin aber aufmunternd zu. Erneut redete sie mit ihr, doch die junge Frau verstand nichts davon. Erst als die Schwarze mit dem Finger auf sich selbst zeigte
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