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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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seit sie auf Raeren eingetroffen war. DieKaiserin, die unter der Gewalt eines Gewitterhimmels in Form blieb, die lediglich matt nach ihrem Gepäck zu winken brauchte – ein Plattenkoffer, ein Hutkoffer und noch ein komisches Köfferchen –, und schon schleppten ihre Jungs es ins Haus. Ihre Jungs, das waren eigentlich alle Männer dieser Welt. Es gibt solche Frauen, in deren Gegenwart sich die Männer, sogar die alten und reichen, in alberne Knaben verwandeln. Schön brauchen diese Frauen nicht zu sein. Sie kennen die Signale, die anderen nicht auffallen, so wie keiner die Handgriffe des Wagenlenkers sieht, sondern nur wie seine Pferde laufen. Wenn sie Söhne haben, gehorchen die ihnen schon früh, Töchter finden sie widerwärtig. Auf einmal vermißte ich meine Mutter. Dieses Gefühl überfiel mich. So hatte ich noch nie an sie gedacht: eine Frau, die mit achtzehn noch eine unbekümmerte Schönheit gewesen war, die einem teuren Fotografen posierte, weil mein Opa wußte, daß man so ein Prachtstück beizeiten festhalten lassen mußte (meine Oma war schon nach fünf Jahren Ehe verblaßt), die aber nichts damit zu tun haben wollte. Nicht wie Julia, die ohne Spiegel ratlos gewesen wäre, das sah man an jedem gepuderten Quadratmillimeter ihres Gesichts. Meine Mutter kannte die Signale nicht. Sie sah nicht ein, was das sollte, mit Jungmädchenblick um sich zu schauen, bis sie dem Blick eines beunruhigten Mannes begegnen würde. Ihre Brauen senkten sich beim Gedanken an die Sünde. Wirklich, ich vermißte sie. Ihr ruhiges Vorsichhinsinnieren am Küchentisch. Die Zufriedenheit, mit der sie Bibelversen Realität einhauchte. Hatte ich Ähnlichkeit mit meiner Mutter? Immer weniger. Obwohl ich nicht mit ihren regelmäßigen Gesichtszügen gesegnet war, bewahrte ich mir ein Staunen, das mich jung erhielt. Die Zwillinge, so schön sie auch waren, hatten diese Eigenschaft nicht von ihrer Mutter übernommen. Sie staunten nur über einander, über sich selbst. Sie hatten Julias blaue Augen, und weil die meisten Menschen nicht weiter schauen als bis zu ihrer Nasenspitze, waren sie der Meinung, sie ähnelten ihr. Doch in ihre Gesichter hatte sich etwas Kantiges geschlichen. Ihre Kinne, ihre Nasenflügel! Die Einkerbungen, ich kannte sie, rasend schnell verglich ich, da saß er, mir gegenüber, in Gedanken versunken, nein, unmöglich, Gott behüte, sie hatten lediglich die gleichen Nasenflügel, ansonsten glichen sie ihm nicht. Ich blickte wieder auf meinen Teller, auf dem achtzehn, ja, exakt achtzehn Erbsen übriggeblieben waren. Heinz räusperte sich, riskierte einen Puff seiner Frau: »Frau von Mirbach, sagen Sie doch mal, wie geht es Ihrem Mann?«
    Der Meister hatte Leni keinen Gefallen damit getan, daß er sie und Heinz an unseren Tisch lud. Es war bestimmt kein Zufall, daß er das Dienerpaar nur dann zum Essen bat, wenn Julia zu Besuch kam. Vielleicht war ihm nach Zuschauern, nach redseligen Außenstehenden, die in der Stadt das Gerücht verbreiten würden, daß zwischen ihm und der Frau eines anderen etwas schwelte. So brauchten keine Handschuhe geworfen zu werden. Die Herausforderung würde vom Volk weitergetuschelt werden, das auch sofort Partei ergreifen würde: nicht für den weltfremden von Bötticher in seinem abgelegenen Wald, das war klar. Heinz drängte weiter.
    »Was hat Herr von Mirbach gesagt? Sie wissen doch, Kraft durch Freude. Was hält er davon? Das muß ihn doch ansprechen, als Mann des Volkes.«
    Julia reagierte nicht. Sie stand noch immer am Fenster, mit dem Rücken zu uns. Jetzt wandte sich Heinz an dieZwillinge. »Ja, Jungs, euer Vater, das ist ein prima Sportler.«
    »Er ist letzten Monat noch Erster im Diskuswerfen geworden«, sagte Siegbert, während er im Plattenkoffer stöberte.
    »Ich habe vorige Woche mit Matthias darüber gesprochen. Er fand auch, das ist eine gute Idee. Er hat gesagt: Herr von Mirbach, dem haben wir viel zu verdanken.«
    Ich wurde neugierig auf diesen von Mirbach, den Mann, für den Julia sich schließlich entschieden hatte. Wenn sie die Julia aus dem Brief war, dann mußte es wohl so gelaufen sein, daß Egon den kürzeren gezogen hatte. Ich konnte mir keinen anderen Grund für diese Entscheidung vorstellen als die Zwillinge. Die zärtlichen adligen Knaben, die mich am Vormittag berührt hatten. Ob ihr Vater nur die Hälfte von ihnen war? Ob er ihre Mutter so geliebt hatte, aber erst die eine Seite ihres Körpers und dann die andere?
    »So wie es jetzt ist, kann es nur noch besser

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