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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wieder. Die lose Fechtjacke flatterte hinter ihm wie ein Flügel. Auf zum Fechtsaal. Ich mußte sein Gesicht sehen, doch eine Hand mit einem Brief hielt mich zurück. Leni sagte nichts, als sie mir das Blatt zusteckte, sie stand nur da und kaute, wahrscheinlich an ihrem Frühstück. Zum Glück waren es nur ein paar Worte, die mein Vater einem Telegraphisten in Maastricht diktiert hatte: Er würde um die Mittagszeit mit dem Auto eintreffen, herzlichen Dank und freundliche Grüße. Ich nickte, Leni kehrte in die Küche zurück, immer noch kauend wie ein Messerheld, ein halber Tag noch, und ich hatte nichts mehr mit ihr zu schaffen. Aber dieser Rücken, ich mußte wissen, wer von beiden es war. Also schnell hintenrum.
    Draußen roch es vielleicht nicht so bösartig, wie ich mich später daran erinnern würde. Der peitschende Wind, das Heulen der Tiere, das wuchernde Moos auf den Stufen der Freitreppe sind typisch für die Details, die die Phantasie ausspuckt, wenn man es im nachhinein schildern soll. Als wäre es so nicht schon schlimm genug. Wahrscheinlich war es ein normaler milder Herbstmorgen, als ich sah, daß die Zwillinge bereitstanden, um aufeinander einzustechen. Sie hatten die messerscharfen Pariser in der Hand, und an allem sah ich, daß sie es ernst meinten. Sie standen unmaskiert da, böse, ohne den Abstand zu messen oder ihre Positionen zu taxieren. Sie warteten aufeinander, hatten jedoch nicht vor, das lange zu tun. Ihre Jacken waren zur Hälfte aufgeknöpft. Vielleicht hatten sie erst im letzten Moment beschlossen, daß dies keine normale Fechtpartie werden sollte. Sie hatten die Stoßwaffen von der Wand gerissen, ohne zu beratschlagen, wer welche nehmen sollte. Ich wartete neugierig. Eine dieser Spitzen würde dazu benutzt werden, wofür sie vor hundert Jahren geschliffen worden war.
    Natürlich, wenn ich mir das vorgestellt hätte, hätte ich mich nicht so reagieren lassen. Später mußte ich mir einen Grund ausdenken, weshalb ich nicht eingriff, wenn die Leute, denen ich es erzählte, zu empört reagierten, um weiter zuhören zu können. Ein solcher Grund war, daß ich nicht eingreifen konnte , weil die Türen geschlossen waren. Die Gardinen waren aufgezogen, ich sah also alles, konnte aber nicht hin. Ehrlich gesagt war mir das zu diesem Zeitpunkt gar nicht klar. Ich machte keine Anstalten, hinzulaufen, da ich spürte, daß bei diesem Duell keine Sekundanten nötig waren. Wer konnte ihre eifersüchtigen Seelen besser überwachen als sie selbst, die Doppelgänger? Ich blieb stehen in Erwartung eines guten Gefechts, eines Kunststücks mit scharfen Waffen, um das Gleichgewicht zwischen zwei Säbelfechtern wiederherzustellen, die sich überworfen hatten. Was in der Luft hing, geschah letztlich viel zu schnell. Der eine Moment überdeckte den anderen. Zuerst waren es noch zwei Brüder, mit zwei Parisern, zwei Schritten. Danach gab es nur noch ein Opfer und einen Täter.
    Von Fechten konnte schnell keine Rede mehr sein. Einen Augenblick lang stimmten die Details noch, zum Beispiel die Handhaltung, die ersten Schritte innerhalb der Linien der Fechtbahn, dann aber zerfiel alles wie loses Gewebe. Nach ein paar abrupten Bewegungen drückten sie sich plötzlich in einer krampfhaften Umarmung aneinander. Ich sah kein Blut. Ihre Waffen fielen gleichzeitig zu Boden. Sie sanken beide aufs Parkett, doch Friedrich war der erste, der sich krümmte und mit weit aufgerissenen Augen nach Luft schnappte, als könne er mit ihnen atmen. Ich flog gegen die Scheibe, die ich vergessen hatte. Im selben Moment stürmte Egon in den Saal, von einem Schrei alarmiert, den ich nicht gehört hatte.
    Irgendwo war eine große Stille entstanden. Vielleicht schon während der Verfolgung auf dem Flur, als mir das Herz in den Ohren gedröhnt hatte oder als ich mit angehaltenem Atem das Telegramm las, doch ganz gewiß war es totenstill, als ich sah, daß die Zwillinge es ernst meinten. Ich mußte an den Unfall auf dem Weg von Maastricht nach Kerkrade denken, als die Passagiere im Bus sich so still verhalten hatten. Männer, Frauen, Kinder, häßlich, dümmlich, dick, mager, mit blödsinnigen Hüten und anderen Attributen, Gelump in den Taschen, Gestank aus Achseln und Mündern: Alle waren sie auf einen Schlag sehr weise geworden. Schweig, bis du es weißt. Die Stille, die sie bewahrten, als der Mann totgefahren wurde, war keine Feigheit, sondern instinktive Pietät gegenüber dem Schicksal.
    Mit dieser Erinnerung kamen die Geräusche zurück.

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