Die Perle
Wasserberge, bis er es nicht länger ertragen konnte. Er barg das Gesicht in den Händen, um den Anblick auszusperren; dann ging er ins Haus.
»Achtundzwanzig-Sechzig,« sagte er ruhig, als er zurückkehrte.
Im Arm hielt er eine Rolle dünnen Seils. Er schnitt es in vier Meter lange Stücke, gab eines Raoul, behielt eines für sich und verteilte den Rest unter den Frauen mit dem Ratschlag, sich einen Baum auszusuchen und hinauf zu klettern.
Eine leichte Brise begann von Nordwesten zu wehen und ihre Kühle auf seiner Wange schien Raoul aufzumuntern. Er konnte sehen wie die Aorai die Segel trimmte und in See stach, und er bedauerte, dass er nicht an Bord war. Sie würde auf jeden Fall davonkommen, aber was das Atoll betraf … Eine Woge brach sich Bahn, riss ihn beinahe von den Füßen und er suchte sich einen Baum aus. Dann fiel ihm wieder das Barometer ein und er rannte zum Haus zurück. Er stieß auf Captain Lynch, der dasselbe Ziel hatte, und sie gingen zusammen hinein.
»Achtundzwanzig-Zwanzig,« sagte der alte Seebär. »Das wird die reinste Hölle, wenn – was ist das?«
Die Luft schien sich plötzlich mit einer Art Brausen zu erfüllen. Das Haus erbebte und rüttelte und sie hörten einen Ton wie von einer gewaltigen vibrierenden Saite. Die Fenster klapperten. Zwei Scheiben zersplitterten, und ein Windstoß fuhr herein, der sie ins Taumeln brachte. Die Tür gegenüber knallte zu und zerschmetterte den Riegel. Der weiße Türknauf bröckelte in kleinen Stücken zu Boden. Die Wände des Raums beulten sich wie die Hülle eines Gasballons, der plötzlich aufgeblasen wird. Dann ertönte ein neuer Laut wie das Knattern von Musketenschüssen, als die Gischt einer Welle gegen die Hauswände prasselte. Captain Lynch sah auf die Uhr. Es war Vier. Er zog sich einen Lotsenmantel über, hängte das Barometer ab und verstaute es in einer geräumigen Tasche. Wieder traf eine See mit dumpfem Schlag das Haus und das leichte Gebäude neigte sich, drehte sich um neunzig Grad auf seinem Fundament und kam mit dem Boden in einer Schräglage von zehn Grad zur Ruhe.
Raoul ging als erster hinaus. Der Wind packte ihn und wirbelte ihn herum. Er stellte fest, dass er nach Osten gedreht hatte. Mit großer Anstrengung warf er sich in den Sand, machte sich klein und klammerte sich fest. Captain Lynch wurde wie ein Strohhalm dahingetrieben, stolperte über ihn und streckte alle Viere von sich. Zwei Seeleute von der Aorai verließen die Kokospalme, an der sie sich festgeklammert hatten, um ihnen zu Hilfe zu eilen. Sie mussten sich in unmöglichem Winkel gegen den Wind lehnen und sich, die Zehen in den Sand gekrallt, Zentimeter für Zentimeter vorwärts kämpfen.
Die Gelenke des alten Mannes waren zu steif zum Klettern, deshalb hievten ihn die Seeleute mittels kurzer, zusammengeknoteter Seilstücke den Stamm hinauf, bis sie ihn im Wipfel des Baumes festbinden konnten, fünfzehn Meter über der Erde. Raoul schlang sein Seilende um den Fuß eines benachbarten Baumes und sah sich um. Der Wind war furchteinflößend. Er hätte sich nie träumen lassen, dass es so stark wehen konnte. Eine See schlug über dem Atoll zusammen und durchnässte ihn bis zu den Knien, bevor sie in die Lagune abfloss. Die Sonne war verschwunden und ein bleiernes Zwielicht hatte eingesetzt. Ein paar waagrecht heranjagende Regentropfen trafen ihn. Sie prallten auf wie Bleikugeln. Ein Spritzer Salzwasser traf sein Gesicht. Es war wie die Ohrfeige eines Mannes. Seine Wangen taten weh und unwillkürlich traten ihm Tränen des Schmerzes in die brennenden Augen. Mehrere hundert Eingeborene hatten sich in die Bäume geflüchtet und er hätte lachen mögen über die Trauben menschlicher Früchte, die in den Wipfeln hingen. Dann, ganz der gebürtige Tahitianer, knickte er in der Hüfte ab, klammerte die Hände hinter dem Stamm des Baumes zusammen, stemmte die Fußsohlen gegen die Rinde und begann, so den Baum hinaufzulaufen. In der Krone fand er zwei Frauen, zwei Kinder und einen Mann vor. Ein kleines Mädchen hielt eine Hauskatze fest in den Armen.
Aus einem Adlerhorst winkte er Captain Lynch zu und der tapfere Patriarch winkte zurück. Raoul erschrak über den Anblick des Himmels. Er war viel näher gerückt – tatsächlich meinte er ihn berühren zu können, wenn er die Hand ausstreckte; und er hatte sich von bleigrau zu schwarz verfärbt. Viele Menschen waren noch auf dem Boden, in Gruppen am Fuß der Bäume, an denen sie sich festhielten. Mehrere dieser Gruppen
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