Die Pestglocke
ins Krankenhaus?«
»Ich will bei Cora Gavin vorbeischauen. Irgendwie haben wir beide es die ganze Zeit falsch angepackt miteinander, deshalb würde ich es gern versöhnlicher enden lassen.«
Und riech um Himmels willen nicht nach Alkohol, wenn du ins Krankenhaus kommst.
»Melden Sie sich mal, Peter«, sagte ich.
Wir verabschiedeten uns. Ich legte die Finger auf die Lippen, weil ich immer noch unseren Abschiedskuss vom Vorabend spürte.
Es hatte eigentlich nur eine Umarmung zum Abschied werden sollen. Aber die knisternde Elektrizität zwischen uns war praktisch mit Händen zu greifen. Groot hielt die Tür mit dem Fuß auf. »Zum ersten und letzten Mal«, sagte er. Dann küsste er mich mitten auf den Mund.
In diesem Augenblick nahm ich nichts außer der Leidenschaft wahr, die zwischen uns floss. Als wir uns voneinander lösten, war es, als würde ich vom landesweiten Stromnetz abgekoppelt. Ich zitterte immer noch, als das Taxi aus der Einfahrt fuhr. Selbst jetzt spürte ich noch winzige Nachbeben. Es war, als wäre ich kurz einer Energiequelle ausgesetzt gewesen, zu der ich zuvor nie Zugang gehabt hatte. Und ich empfand keine Gewissensbisse. Es war eine jener seltenen Begegnungen mit einer elementaren Kraft – einer Riesenwelle, einem Vulkanausbruch: eine Sache, die nur einmal im Leben passiert.
Ich duschte rasch, zog Jeans und einen Pullover an und aß im Stehen eine Schale Frühstücksflocken. Dann schaute ich ins Büro hinüber und erklärte Peggy, wo ich hinfuhr. Während sie mir einen Satz Fotos der Statue ausdruckte, rief ich im Pflegeheim an. Der bizarre Traum ließ mich ängstlich das Schlimmste erwarten, aber Vater hielt immer noch durch.
Als ich am Friedhof eintraf, war kein Wagen oder Taxi zu sehen. Ich zog eine rote Vliesjacke an, die auf dem Rücksitz lag, und ging den kurzen Fußweg bis zum verschlossenen Tor. Eine steife Brise wehte, die Sonne schien nicht, und aus der Landschaft war alle Farbe entwichen. Ich kletterte über den steinernen Übertritt neben dem Tor und ging auf einem schmalen Weg parallel zu der Mauer, hinter der Fran und ich an jenem Samstag gemalt hatten; es schien eine Ewigkeit her zu sein. Unterhalb der Mauer, wo die Wiese steil zum Fluss hin abfiel, wogte das Gras seidig im Wind. Rechts von mir ächzten und knarrten dunkle Eiben. Dahinter kauerte das Gerippe der Kathedrale, dessen graue Knochen mit weißen Flechten gesprenkelt waren, während roter Baldrian die Hohlräume und Spalten überzog wie getrocknetes Blut.
Ich verließ den Weg und steuerte vorbei an Grabsteinen, schiefen Kreuzen und namenlosen Erdhügeln auf das dachlose Kirchenschiff zu. Ich betrat die Ruine durch eine breite Lücke in der Wand und sah Ross Johnston halb auf dem niederen Sims in einer Nische auf der anderen Seite sitzen. Die Schöße seines langen Mantels schlugen im Wind an seine Beine. Ein schwarzer Lederkoffer stand aufrecht im Kies neben ihm.
Er blickte von dem Buch auf, in dem er las, und erhob sich, um mir die Hand zu schütteln. Er wirkte weit weniger Furcht einflößend als bei unserer ersten Begegnung, zerbrechlich sogar; seine Augen waren gerötet und wässrig, die Eidechsenhaut sah schlaff aus.
Er bedeutete mir, mich neben ihn zu setzen. »Wenn es Ihnen nicht zu unbequem ist, Miss Bowe. Man ist hier ein bisschen vor dem Wind geschützt. Ich glaube, wir beide haben ein paar Dinge zu besprechen.«
»Sie reisen in Kürze ab.«
»Das wird sehr vom Ergebnis unserer Unterhaltung abhängen.«
»Ach so? Was soll das heißen?«
Er öffnete den Reißverschluss einer schmalen, ledernen Aktentasche, die neben ihm auf dem Mauervorsprung stand, legte das Buch hinein und zog ein einzelnes Blatt Papier heraus. Seine Finger waren wie gelbe Klauen.
»Auf diesem Stück Papier habe ich die genaue Lage des Prunkstücks des Schatzes vermerkt, der zum Schrein der Muttergottes von Castleboyne gehörte. Je nachdem, wie unser Gespräch verläuft, bin ich eventuell bereit, diese Information mit Ihnen zu teilen. Mich interessiert, was Sie bereits wissen und was genau Sie auf dem Friedhof der Magdalenerinnen gefunden haben. Haben Sie die Fotos mitgebracht?«
Ich überreichte ihm einen festen, braunen DIN-A4-Umschlag. »Sagen Sie, wieso haben Sie Ihre Erkundigungen eigentlich beim anglikanischen Pfarrer begonnen?«
»Ein schlichter Irrtum. Beide Kirchen heißen ja St. Patrick. Ich nahm an, mein Bruder habe die protestantische besucht, deshalb ging ich am letzten Samstag dort zuerst hin. Ich lief dem
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