Die Plastikfresser
Buchan: »Ich hätte nicht gedacht, daß Sie in Selbstmitleid zerfließen. Aber wenn Sie die Sache so sehen, dann will ich mich nicht weiter bemühen.«
Diese Bemerkung schmerzte wie ein Stachel. Gerrard verteidigte sich, indem er Kramers frühere Haltung kritisierte. Er hielt ein langes Plädoyer gegen den Wechsel von der verantwortungsvollen Wissenschaft zur Jagd nach Profit. Es wurde eine ziemlich moralistische Predigt daraus, aber Buchan ließ ihn sich alles von der Seele reden. Als Gerrard schließlich Atem holen mußte, sagte Buchan: »Sind Sie jetzt fertig?«
»Sie haben verdammt recht. Und ob ich fertig bin! Das können Sie sich hinter den Spiegel stecken!«
»Weil ich nämlich der Meinung bin –, wenn Sie mir erlauben, auch ein paar Worte zu sagen –, daß Sie im großen und ganzen recht haben. Ich hätte es allerdings nicht ganz so gefühlvoll formuliert.«
Nun herrschte Schweigen auf Gerrards Seite. »Ich verstehe Sie nicht ganz – Sie sind meiner Meinung?«
»In mancher Hinsicht schon«, sagte Buchan. »Deshalb wär’s mir ganz lieb, wenn Sie zur Konferenz kämen.«
»Welche Konferenz?« fragte Gerrard. »Von einer Konferenz haben Sie nichts gesagt.«
»Hab’ ich nicht?« fragte Buchan scheinheilig. »Ach so. Ja, da findet morgen ein Treffen statt. Und deshalb habe ich Sie ja eigentlich angerufen. Die Kollegen haben mich darum gebeten.«
»Und sie wollen wirklich, daß ich komme?«
»Nun, ich will nicht gerade behaupten, daß sie übermäßig begeistert sind. Einen roten Teppich wird es nicht geben«, sagte Buchan. »Aber Sie haben ja nun mal einen Vertrag mit der Firma.«
»Das ist aber auch alles.«
»Wir werden sehen«, sagte Buchan. »Sie sollten auf jeden Fall kommen. Es findet im Connaught Room im Royal Yorkshire Hotel statt, um 14 Uhr 45. Ich würde mich freuen, Sie wiederzusehen.« Ehe Gerrard antworten konnte, hatte er schon eingehängt.
Gerrard ging ins Hotelrestaurant und arbeitete sich – gewissermaßen als Kompensation für seine Zweifel und Besorgnisse – durch die teuersten Gerichte auf der Speisekarte. Danach starrte er schwermütig in seinen Kognakschwenker und rauchte eine überlange Zigarre.
Er dachte über die Struktur der Gruppe nach. Wright und Scanion würden sich todsicher verbünden, um ihn hinauszudrängen. Sie würden ihm nicht so leicht vergessen, daß er dafür verantwortlich war, wenn das Material der biolöslichen Flasche nun als Hauptursache der Londoner Katastrophe betrachtet wurde. Er versuchte, sich den zukünftigen Kurs der Gruppe vorzustellen. Er selbst war ja ursprünglich dem Unternehmen nur beigetreten, weil sie unter Kramer – bevor er sich verändert hatte – eine Politik wachsender gesellschaftlicher Verantwortung in der Wissenschaft zu entwickeln schien. Bei vielen Projekten hatte ganz klar der Umweltschutz im Vordergrund gestanden. So hatte es zum Beispiel einen Vertrag zur Entwicklung von umweltfreundlichen Klärverfahren für eine nordenglische Textilfärberei gegeben.
Aber als Kramer seine Energien dann ausschließlich auf Gewinn und Expansion gerichtet hatte, war ein Teil der gesellschaftlich wertvollen Projekte als zu kostspielig fallengelassen worden. Die Gruppe war, hauptsächlich auf Kramers Drängen hin, zur Annahme verhältnismäßig leicht zu verwirklichender Projekte mit hohen und schnellen Erträgen verleitet worden.
Als er im Bett lag, kreisten seine Gedanken, trotz Wein und Kognak, immer noch um dasselbe Problem. Was waren die Alternativen? Ein Job im Ministerium? Er brauchte nur die Hand auszustrecken – zweitklassige Beratung für drittklassige Politiker – langweilige Forschung, nur um Männer, die intellektuelle Tätigkeit ausschließlich für eine Konstruktion erfolgreicher Lügen hielten, mit politischer Munition zu versorgen. Wissenschaft im Dienst der Zweideutigkeit.
Zurück nach Kanada? Um Gottes Willen, nein! Er erinnerte sich an den Fakultäts-Klüngel mit seiner hochentwickelten Jovialität – und Leere. Intelligentes Grinsen auf vertrockneten Gesichtern. Und dazu fünf Monate Winter. Nein!
Seine Besorgnisse und Zweifel wuchsen; alles, was er in Erwägung zog und sich ausmalte, ließ nur seinen Puls heftiger schlagen. Schließlich ertappte er sich nicht ohne Belustigung bei dem Gedanken, ob er für morgen ein frisches Hemd hatte.
Beim Einschlafen tauchte immer wieder Annes Gesicht vor ihm auf. Er wünschte sich, daß sie neben ihm läge, aber gleichzeitig fühlte er sich von ihrer allzu kühlen
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