Die Priesterin von Avalon
dich unternehmen.«
»Aber warum? Bist du krank?« Der Kaiser riss die Augen auf, als ihm bewusst wurde, dass ich ihm eine Bitte abgeschlagen hatte.
»Es geht mir ganz gut zur Zeit, aber ich bin alt. Ich habe dir und dem Imperium gedient. In der Zeit, die mir noch bleibt, muss ich für mich selbst sorgen - für das wahre Ich, das so lange vernachlässigt wurde, während ich den Bedürfnissen anderer nachkam.«
»Willst du dich aus der Welt zurückziehen? Vielleicht einer Gemeinschaft heiliger Frauen beitreten, die für das Imperium beten…«
Ich sah ihm an, dass er bereits Strategien ersann. Ich konnte ihm nicht einmal einen Vorwurf machen - diese Fähigkeit, aus allem einen politischen Nutzen zu ziehen, war vermutlich einer der Gründe, warum er als Kaiser so erfolgreich war. Doch in einer Welt, die voller Geschichten über junge Menschen war, die gegen ihre Eltern rebellierten, hatte ich nie überlegt, wie schwer es einem älteren Menschen fallen würde, sich von den Kindern zu befreien.
»Ich werde nicht in deine Gemeinschaft christlicher Vestalinnen gehen, Konstantin«, sagte ich schroff. »Aber ich werde fortgehen.«
»Das kann ich nicht zulassen…« Konstantin schüttelte den Kopf. »Du bist hier zu nützlich für mich.«
»Nützlich!« Nun wurde ich doch noch wütend. »Wie nützlich werde ich sein, wenn ich anfange, Crispus' Tod als Mord zu bezeichnen, oder verkünde, wie enttäuscht ich vom Christentum bin und Opfer im Tempel der Juno Regina auf dem Kapitol bringe?«
»Das wirst du nicht tun! Ich kann dich hier einsperren…« Konstantin war halb aufgestanden, und sein Gesicht war gefährlich gerötet.
»Glaubst du, ich hätte keine Vorkehrungen getroffen?«, fuhr ich ihn an. »Ich bin deine Mutter! Ich habe Briefe verteilt, die in einer Woche verschickt werden, wenn ich sie nicht persönlich zurückrufe!«
»Du wirst sie zurückrufen!«
»Oder du bringst mich um, wie du es mit Fausta gemacht hast? Ich bin alt, Konstantin, und der Tod schreckt mich nicht. Weder Drohungen noch Schmerz werden meinen Willen beugen!«
»Bist du noch Christin?« Das war kein Eigeninteresse, sondern eine tief sitzende, abergläubische Furcht.
Ich seufzte. Wie konnte ich es ihm begreiflich machen?
»Ich habe mich immer gefragt, warum ein Mensch, der nur eine Farbe sieht, als behindert gilt, er aber gelobt wird, wenn er nur eine Gottheit anerkennt. Ich glaube, Christus hatte die Macht Gottes, und ich verehre seine Lehren, aber ich weiß, dass auch die Göttin in ihren mannigfaltigen Gestalten ihre Kinder liebt. Versuche nicht, mich als Christin oder Heidin festzulegen, Konstantin.« Ich holte tief Luft und erinnerte mich an das Zeichen, das Joseph von Arimathia auf das Grab gezogen hatte. »Ich bin Dienerin des Lichts. Das soll dir genügen.«
Ein langes Schweigen trat ein, und am Ende senkte Konstantin den Blick.
»Mutter, ich verstehe dich nicht - was willst du?«
Selbst jetzt wollte ein Teil von mir ihn umarmen und trösten, wie ich es vor so vielen Jahren gemacht hatte, doch ich durfte nicht zulassen, dass dieser Teil mein Handeln bestimmte.
Ich atmete tief durch und antwortete freundlich: »Ich will meine Freiheit, Konstantin.«
Endlich begriff ich den Irrtum, der mir vor so langer Zeit unterlaufen war. Wir bringen unsere Kinder zur Welt, aber wir erschaffen sie nicht. In meinem Stolz hatte ich Konstantin für die Rechtfertigung meines Daseins gehalten und mir seine Sünden ebenso wie seine Leistungen zu eigen gemacht. Ich konnte für ihn beten, doch Konstantin war ein unsterblicher Geist. Obwohl er durch mich auf diese Welt gekommen war, durfte ich weder das Schicksal, das seine Taten verdient hatten, auf mich nehmen noch ihm das meine anlasten.
»Aber wie? Was sollen denn die Leute sagen?«
»Du kannst ihnen sagen, ich sei tot, denn für dich und für diese Welt werde ich tatsächlich gestorben sein.«
»Wie meinst du das? Was wirst du tun?«
»Ich werde die Welt, die du kennst, verlassen und an einen Ort gehen, wo du mich niemals findest. In der Kapelle meines Palastes liegt die Leiche einer armen Frau dieser Stadt. Du kannst sie in der Grabstätte der Kirche der Heiligen Marcellinus und Petrus beisetzen - eine alte Frau sieht aus wie die andere, und die Leute sehen, was sie sehen wollen. Erzähl ihnen, was du willst, Konstantin, beweine die Ikone der Helena, die du geschaffen hast, um deinen Ruhm zu mehren. Aber lass mich gehen!«
»Du bist meine Mutter«, begehrte er auf, und sein Blick glitt ins
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