Die Prinzen von Amber (5 Romane in einem Band)
Aber es
gab so viele Dinge an dir, von denen wir nichts wußten. Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß ich dein Hinscheiden erleben würde. Ganelon – Vater – alter Freund und Feind, ich verabschiede mich von dir. Du schließt dich Deirdre an, die ich geliebt habe. Du hast dein Geheimnis bewahrt. Ruhe in Frieden, wenn das deinem Willen entspricht. Ich schenke dir diese verwelkte Rose, die ich durch die Hölle getragen habe, indem ich sie in den Abgrund werfe. Ich überlasse dir die Rose und die verfälschten Farben am Himmel. Du wirst mir fehlen ...
Endlich endete der lange Zug. Die letzten Marschierer kamen durch den Vorhang und entfernten sich. Die Blitze zuckten noch immer, der Regen strömte herab, und der Donner dröhnte. Trotzdem hatte kein Teilnehmer an der Prozession naß ausgesehen. Ich hatte am Rande des Abgrunds gestanden und das Schauspiel verfolgt. Eine Hand lag auf meinem Arm. Wie lange sie schon dort ruhte, wußte ich nicht. Nachdem der Zug nun zu Ende war, ging mir auf, daß das Unwetter seinen Weg fortsetzte.
Die Rotation des Himmels schien mehr Dunkelheit über uns zu bringen. Links von mir ertönten Stimmen. Es kam mir vor, als sprächen sie schon lange, die Worte hatte ich allerdings nicht verstanden. Ich erkannte, daß ich am ganzen Leib zitterte, daß mir sämtliche Muskeln wehtaten, daß ich kaum noch zu stehen vermochte.
»Komm, leg dich hin«, sagte Fiona. »Die Familie ist für heute genug geschrumpft.«
Ich ließ mich von ihr vom Abgrund fortführen.
»Würde es wirklich noch einen Unterschied machen?« fragte ich. »Wie lange haben wir denn deiner Meinung nach noch?«
»Wir brauchen nicht hierzubleiben und darauf zu warten«, antwortete sie. »Wir werden die dunkle Brücke zu den Burgen des Chaos überqueren. Die Verteidigungslinien unserer Feinde sind bereits durchbrochen. Vielleicht dringt das Unwetter nicht so weit vor. Vielleicht wird es vom großen Abgrund aufgehalten. Es wäre sowieso angemessen, wenn wir Vater auf seinem letzten Weg begleiteten.«
Ich nickte. »Es sieht so aus, als bliebe uns kaum eine andere Wahl, als bis zum Schluß unsere Pflicht zu tun.«
Ich setzte mich vorsichtig und seufzte. Wenn das überhaupt möglich war, fühlte ich mich noch schwächer.
»Deine Stiefel ...«, sagte sie.
»Ja.«
Sie zog sie mir von den Füßen, die zu schmerzen begonnen hatten.
»Vielen Dank.«
»Ich besorge dir etwas zu essen.«
Ich schloß die Augen. Ich begann zu dösen. Zu viele Bilder zuckten mir durch den Kopf, als daß sich ein zusammenhängender Traum ergab. Wie lange dies dauerte, weiß ich nicht, doch ein alter Reflex holte mich beim Klang näherkommenden Hufschlags ins Bewußtsein zurück. Ein Schatten glitt über meine Lider.
Ich hob den Blick und entdeckte einen verhüllten Reiter, reglos, stumm. Er musterte mich.
Ich erwiderte den Blick. Keine drohende Bewegung war gemacht worden, doch in dem kalten Blick lag Ablehnung.
»Dort liegt der Held«, sagte eine leise Stimme.
Ich schwieg.
»Ich könnte dich mühelos umbringen.«
Da erkannte ich die Stimme, wenn ich auch keine Vorstellung hatte von den Ursachen für die Ablehnung.
»Ich habe Borel gefunden, ehe er starb«, sagte sie. »Er erzählte mir, wie unehrenhaft du ihn besiegt hast.«
Ich konnte nicht anders, ich hatte keine Kontrolle darüber. Ein trockenes Lachen stieg in meiner Kehle auf. Was für eine lächerliche Kleinigkeit, um sich darüber aufzuregen! Ich hätte ihr sagen können, daß Borel viel besser ausgerüstet und ausgeruhter gewesen war als ich und daß er mir den Kampf förmlich aufgezwungen hatte. Ich hätte ihr klarmachen können, daß ich keine Regeln gelten lasse, wenn mein Leben in Gefahr ist, oder daß ich den Krieg nicht für ein Spiel halte. Ich hätte vieles sagen können, doch wenn sie das nicht bereits wußte oder nicht verstehen wollte, konnten meine Äußerungen auch nichts mehr ändern. Außerdem waren ihre Gefühle klar.
So äußerte ich nur eine schlichte, große Wahrheit: »Im allgemeinen hat jede Geschichte mehr als eine Seite.«
»Ich begnüge mich mit der, die ich kenne«, gab sie zurück.
Am liebsten hätte ich die Achseln gezuckt, doch meine Schultern schmerzten zu sehr.
»Du hast mich zwei der wichtigsten Personen meines Lebens gekostet«, sagte sie nun.
»Ach?« gab ich zurück. »Das tut mir leid, deinetwegen.«
»Du bist nicht der, als der du mir dargestellt wurdest. Ich habe in dir eine wahrhaft edle Gestalt gesehen, stark, doch zugleich
Weitere Kostenlose Bücher