Die Prinzen von Queens - Roman
lauter, plötzlicher Knall ertönt, lauter als Christian Louis’ Getrommel. Die Augenbrauen zusammengezogen, öffnet er den Mund, als wollte er eine besonders wütende Tirade vom Stapel lassen, und bricht dann in Tränen aus.
Zwei Dutzend weiterer Ballons liegen verstreut in der Wohnung herum, die ersten unbeholfenen Gäste der Party. Sie drückt ihnen reihum den Hals ab, lässt ihre Nadel hineingleiten. Diesmal ist kein Knallen zu hören, kein lautes Platzen. Mit langsamem, schmerzlosem Zischen entweicht die Luft aus den Ballons. Sie macht die Spüle zur Quarantänestation, beißt sich beim Anblick der schrumpligen Hüllen auf die Lippe. Na toll. Und womit soll sie jetzt bitteschön dekorieren? Morgen ist die wohlmeinende, ja ohnehin in allem bessere abuela Lizette an der Reihe – sie hat möglicherweise bereits einen Bären mit entschärften Tatzen angemietet, der sein eigenes Einrad mitbringt –, aber heute Abend geht es nur um sie drei, Alfredo, Isabel und Christian Louis, ihre eigene Party in ihrem eigenen Zuhause, mit Ballons, es müssen einfach Ballons dabei sein, einer Eiscremetorte mit Oreo-Streuseln und einer superschicken Geburtstagskerze, »ihr«. Um sicherzugehen, schaut Isabel nach, ob sie noch da ist – okay, okay, damit es ihr selbst besser geht –, und da ist sie, versteckt hinter der Backmischung. Sie ist wirklich super, aber es gibt auch andere. So wie vorhin Christian Louis nimmt Isabel den Schrank unter der Spüle in Augenschein. Als sie in diese Wohnung hier in Corona gezogen sind, hatte sie an die fünfzig Kerzen gekauft – Stumpenkerzen, Schwimmkerzen, Teelichter, Votivkerzen, herzförmige Kerzen mit Lavendelgeruch –, und sie bewahrt sie unter der Spüle auf, hinter den verklebten Griffen, spart sie auf für den Tag, der wohl niemals kommen wird, einen Tag, an dem sie für eine Stunde in eine warme Badewanne gleiten, die Augen schließen, masturbieren und entspannen kann. Sie will all die Kerzen in den Armen halten, ihren geflüsterten Versprechungen lauschen.
Christian Louis weint noch immer. Er streckt die Arme nach seiner Mutter aus, der Ballonkaputtmacherin, der Betrügerin, und sie hebt ihn vom Küchenboden hoch. Wiegt ihn in den Armen. Sie ist ein Flugzeug, das in Turbulenzen gerät, und er der einzige Fluggast. Sie fliegt ihn zu dem Schrank, hinter dessen Tür, eingepackt, sein erstes Geburtstagsgeschenk auf ihn wartet. Ein Spiel- und Musiktisch von Fisher Price, aber das sagt sie ihm nicht. Das ist eine Überraschung.
»Siebzig Dollar«, hatte Alfredo gesagt, als er den Kassenbon gesehen hatte. »Für einen Tisch? Unsere Eltern haben uns nie etwas für siebzig Dollar gekauft.«
»Ganz genau«, hatte Isabel geantwortet.
Bei dem Tisch handele es sich um ein interaktives Spielzeug, hatte sie erklärt. Es helfe Kindern dabei, die Zahlen und das Alphabet zu lernen. Darauf seien fünfzehn Lieder zum Mitsingen abgespeichert – Abzählreime und Schlaflieder –, und Isabel ist sich sicher, dass sie jedes einzelne kennen wird.
»Ist da auch ein Lautstärkeregler dran?«, hatte Alfredo gefragt.
Sie könnte jetzt nachsehen, aber der Tisch ist bereits als Geschenk verpackt. Sie zieht die Schranktür auf und fragt das Baby auf ihrem Arm, ob es schon Geburtstagsgeschenk, Geburtstagsgeschenk sagen kann. Bevor es eine Antwort hervorglucksen kann, knallt Isabel die Tür wieder zu. Nur kurz gucken, mehr nicht. Und als der raffinierte kleine Kerl die Hand nach dem Türgriff ausstreckt, dreht sie ihn weg.
Heute Abend wird sie es Alfredo sagen. Sie wird den Geburtstagskuchen abwarten, warten, bis Christian Louis sein Geschenk ausgepackt hat. Sie wird den absoluten Höhepunkt von Alfredos Glückseligkeit abwarten und dann zuschlagen. Das Timing muss perfekt sein, so wie immer, wenn sie von sich aus etwas macht: die Initiative beim Sex ergreift, die Kreditkartenabrechnung zur Sprache bringt, überhaupt den Mund aufmacht. In den letzten Monaten war er extrem launisch gewesen. Den letzten Monaten? Eigentlich war er seit Juni launisch. Und eigentlich nicht bloß launisch – mit launisch könnte sie leben –, sondern vollkommen abwesend. Er arbeitet als Liftboy in einem Haus mit Luxusapartments in Manhattan, begleitet die Reichen von der Lobby hinauf zu ihren Wohnungen und von ihren Wohnungen hinunter zur Lobby, ein endloser Nord-Süd-Rundkurs. Seine Chefin, Ms. Webb, sagt ihm, sie würde ihn ja zum Pförtner machen (was eine Steigerung des Gehalts und, so scheint es, der Männlichkeit
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