Die Prinzen von Queens - Roman
in sich geschlossenen Welt.
Tariq kommt durch das Loch gerannt, wo eben noch die Tür gehangen hat. Als er sieht, was dahinter auf ihn wartet – die Leiche, der Bulle, Alfredo, flach auf der Erde –, schließt er die Augen.
»Waffe«, schreit Alfredo. »Er hat eine Waffe! Er hat eine Waffe!«
Tariq versucht anzuhalten. Alfredo sieht es an der Art, wie er den Kopf in den Nacken kippt, seine Hände sich von selbst heben, was ganz sicher das Schlechteste ist, was er in dem Moment machen kann, so die Hände hochzunehmen. Begleitet von einem Peitschenknall trifft ihn die erste Kugel. Sie durchschlägt seinen Oberarm, dringt in die Schulter ein und zerfetzt sie zu einem Brei aus Muskeln und Knochen. Er wird noch zweimal in die Brust getroffen. Er wirbelt herum. In der Bewegung sinkt er auf die Knie und sackt nach vorn, ein Ohr auf dem Boden.
Der Bulle spricht in die darauf folgende Stille hinein. »Wo ist sie?«, sagt er. Er steht auf und eilt hinüber zu Tariqs Körper. »Ich seh sie nicht. Wo ist sie?«
Alfredo weiß nicht, was er antworten soll. Er sitzt im Gras, den Kopf gesenkt, und tastet den Boden vor sich ab, auf der Suche nach seiner Brille. Ein Regenwurm windet sich blind aus der Erde. Er glänzt hellrot, beinahe durchsichtig, und als er Alfredo über den Knöchel glitscht, zuckt er zurück. Ihm ist schlecht.
»Wo ist sie?«, ruft der Bulle. In seiner Stimme ist Blut, die Drohung weiterer Gewalt. »Wo zum Henker ist die Knarre?«
Als Alfredo nichts sagt, stellt der Bulle einen Stiefel in Tariqs offene Hand. Alfredo will ihm sagen, er soll es lassen – bitte fassen Sie ihn nicht an –, aber er fürchtet sich davor, Befehle zu geben. Er hat das Gefühl, gerade aus einem Alptraum aufzuwachen, aber noch nicht ganz da zu sein. Irgendetwas, irgendwas Schlimmes wird noch passieren. Vom Boden hebt er ein grünes Stück Papier auf, irgendeinen Flyer, von einer Windschutzscheibe in den Hof geweht. Komplett vollgesogen, fließen Zahlen und Buchstaben ineinander. Nichts ergibt Sinn. Regen trommelt ihm in die Augen. Heftig, dieser Regen. Macht Musik auf der kaputten Tür, füllt Mike Shifrins offenen Mund. In der Nähe seiner Leiche liegt eine Pistole im Gras. Ob es ein stupsnasige .38er ist, kann Alfredo nicht sagen. Weder kann er so weit sehen, noch weiß er, wie eine .38er aussieht. Der Bulle erweckt den Eindruck, als wäre er ganz woanders. Er starrt zum Haus, bereit – so wie Alfredo – für die nächste Katastrophe. Die anderen beiden dürften mittlerweile unten angekommen und damit beschäftigt sein, einen ganzen Keller voller wütender junger Männer dazu zu bringen, die Hände an die Wand zu legen. Die Waffe zwinkert Alfredo zu. Er könnte durch den Matsch kriechen, sie sich einfach schnappen. Auf Nummer sicher gehen. Er gestattet sich einen Blick auf Tariq, der zusammengesackt im Gras liegt, die Beine unter sich verdreht, das Ohr am Boden, als bemühte er sich, dem Wispern aus der Unterwelt zu lauschen.
»Tu’s nicht«, sagt der Bulle. Die Waffe, die er auf Alfredo richtet, zittert in seiner adrenalindurchpulsten Hand. »Keine beschissene Bewegung.«
»Nein«, sagt Alfredo. Seine Hände, zu Fäusten geballt, hängen nutzlos an den Seiten. »Bitte, nein.«
Die Pistole im Anschlag, umrundet der Bulle Alfredo. Er tritt ihm heftig zwischen die Schulterblätter. Alfredo fällt nach vorn. Matsch dringt ihm ins Ohr. Der Bulle bohrt die Knie in Alfredos Rücken, drückt auf seine ohnehin schon malträtierte Niere.
»Der Hund Ihres Freundes ist tot«, sagt Alfredo. Das Gesicht im Schlamm, weiß er nicht, ob man ihn versteht, aber er will die Fakten auf dem Tisch haben. »Das tut mir leid. Das mit dem Hund. Ich wollte nicht, dass das passiert.«
Die Arme werden ihm nach hinten gezogen. Mit einem klick-klick-klick legt der Bulle ihm Handschellen an. Alfredo betet. Er betet, dass Isabels Mund wieder verheilt, dass Christian Louis von all dem nie etwas erfährt. Dass seine Eltern, nachdem sie die Nachricht erreicht hat, ihm nicht ihre Herzen verschließen. Der Schlamm unter Tariqs Kopf gibt nach, und er rutscht nun ganz auf den Bauch, wobei für einen ganz kurzen Moment die Vertiefung an seinem Halsansatz aufscheint. Er ist tot, und Alfredo hat dafür keine passenden Worte. Stumm, die Handschellen um seine dünnen Handgelenke sind so eng, dass das Metall auf die Knochen drückt, spricht Alfredo ein leises Vaterunser. Er kommt bis zur Hälfte, bevor er beim täglich Brot innehält. Um Vergebung bitten wird er
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