Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
fragte er mit seiner hohen, schrillen Stimme.
»Ich bin Eure Cousine Joanna Stafford«, sagte ich. »Ich bin noch nicht sehr lange bei Hof.«
Mit Verwunderung, die in Ärger überzugehen drohte, fragte der König: »Und?«
»Darf ich Euch den Kelch abnehmen?« In meinem strahlenden Lächeln spiegelte sich zweifellos noch ein Abglanz der roten Blume Indiens. »Mir wurde die Ehre zuteil, der Herzogin von Kleve vorgestellt zu werden. Ich möchte Euch sagen, dass sie eine junge Dame von vornehmer Gesinnung ist. Ich glaube, Ihr werdet sie höchst ziemlich finden, Majestät. Ihr dürft nicht länger verweilen. Für Wein ist später noch viel Zeit.«
Den Kelch in der erhobenen Hand, starrte der König mich an.
Ich spürte die Blicke der Höflinge auf mir, hörte ihr schockiertes Getuschel. Mich dem König so einfach in den Weg zu stellen und ihm seinen Wein nehmen zu wollen, das war unerhört.
Ich wartete atemlos, während der König mich mit seinen kalten blauen Augen musterte, die tief eingebettet in seinem feisten Gesicht lagen.
Würde er den Rest des Weins trinken und sterben? War das das Ende Heinrich Tudors?
Er reichte mir den Kelch. Mit einem ungeduldigen Lächeln drehte er sich um und setzte den Weg zum Ende der Galerie fort, zu den Gemächern, in denen Anna von Kleve wartete.
Die Wache vor der Tür verneigte sich. Plötzlich zögerte der König und stützte sich mit ausgestrecktem Arm am Türpfosten ab.
Meine Hand mit dem Kelch begann zu zittern.
Doch da öffnete sich die Tür, und der König ging hindurch, von fünf seiner Herren gefolgt. Die Tür wurde hinter ihnen geschlossen. Niemand hier draußen konnte hören, was in den Gemächern vorging.
»Was tut Ihr hier?«, fragte Catherine Howard. »Ich freue mich natürlich, Euch zu sehen, Joanna, aber Euer Name steht nicht auf der Liste der königlichen Hofdamen. Ich bin – ich bin eine der Ehrendamen. Ich stehe seit Canterbury in den Diensten der neuen Königin.«
»Das freut mich für Euch, Catherine«, erwiderte ich. »Darf ich fragen, von wem Ihr diesen Kelch bekommen habt?« Ich hielt ihn hoch, ein wahrhaft königliches Trinkgefäß. Unser Herr Jesus hatte beim letzten Abendmahl aus einem silbernen Gefäß getrunken – die Idee des Rats der Zehn, diesen todbringenden Kelch aus demselben edlen Metall zu fertigen, war die Höhe der Blasphemie.
Catherine strahlte mich an. »Er ist ein Geschenk von Königin Maria von Ungarn an die Familie Howard. Ein sehr angenehmer spanischer Herr brachte ihn meinem Onkel, dem Herzog. Er sagte, die Statthalterin habe ausdrücklich darum gebeten, dass darin dem König von England vor seiner Hochzeit ein Trunk Wein kredenzt werde. Er sagte, das sei ein alter Hochzeitsbrauch aus den Niederlanden. Und er bat mich , dem König den Wein zu reichen. Stellt Euch das nur vor, eine solche Ehre! Gerade war er hier, um mir zu sagen, dass der König der Herzogin seine Aufwartung inkognito machen wolle. Er meinte, das sei doch die ideale Gelegenheit, da der König nach dem Ritt sicher durstig wäre.« Catherine blickte die Galerie hinauf und hinunter. »Ich sehe ihn nichtmehr. Eben war er noch hier. Nun ja, es war alles sehr aufregend – aber Ihr habt ihn dann nicht austrinken lassen. Seht.« Sie deutete auf den noch nahezu vollen Kelch, den ich so krampfhaft festhielt.
»Ich lasse ihn säubern«, sagte ich. »Dann bringe ich ihn Euch zurück.«
»Aber, Joanna«, beharrte sie, »warum habt Ihr den König seinen Wein nicht trinken lassen?«
»Lasst Euch von mir etwas sagen, Miss Catherine Howard, und vergesst es nicht«, entgegnete ich. »Man kann den Spaniern nicht immer trauen.«
Damit machte ich kehrt und verließ die Galerie. Immer noch mit dem Kelch in der Hand suchte ich mir im zweiten Stockwerk einen Platz an einem Fenster und wartete. Keine zwanzig Minuten später kam der König wie ein Rasender die Treppe hinuntergedonnert. Der ganze Palast war in Aufruhr.
»Sie gefällt ihm nicht.« Immer wieder hörte ich diesen Satz. »Sie gefällt ihm nicht.«
Ich stand bei Catherine Brandon, als ihr Mann zu ihr eilte. »Ich habe nie erlebt, dass er auf Anhieb eine solche Abneigung gegen eine Frau fasste – und sie soll seine Ehefrau werden«, murmelte er. »Man könnte den Eindruck haben, sie sei ihm widerwärtig. Solche Übellaunigkeit! Es ist ein Desaster.«
Wenig später ließ der König Brandon, die Seymours, Southampton und mehrere andere in einem Raum im ersten Stock des Bischofspalasts zusammenrufen. Nach einer
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