Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Literatur für Jedermann
H B
Die verlorene Ehre
der Katharina Blum
oder: Wie Gewalt entstehen
und wohin sie führen kann
Erzählung
Original
Autor: Heinrich Böll
Titel: Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Jahr: 1974
Sprache: deutsch
Vorlage
Verlag: Kiepenheuer & Witsch Köln, 1974
ISBN: 3-462-01033-6
eBook
Version: 1.00 Testversion ID2
Korrekturen sind immer willkommen.
Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden.
Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer
Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der »Bild«-
Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder
beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
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Die verlorene Ehre der Katharina Blum
1.
Für den folgenden Bericht gibt es einige Neben- und drei Hauptquellen, die
hier am Anfang einmal genannt, dann aber nicht mehr erwähnt werden. Die
Hauptquellen: Vernehmungsprotokolle der Polizeibehörde, Rechtsanwalt Dr.
Hubert Blorna, sowie dessen Schul- und Studienfreund, der Staatsanwalt Peter
Hach, der – vertraulich, versteht sich – die Vernehmungsprotokolle, gewisse
Maßnahmen der Untersuchungsbehörde und Ergebnisse von Recherchen,
soweit sie nicht in den Protokollen auftauchten, ergänzte; nicht, wie unbedingt
hinzugefügt werden muß, zu offiziellen, lediglich zu privatem Gebrauch, da ihm
der Kummer seines Freundes Blorna, der sich das alles nicht erklären konnte
und es doch »wenn ich es recht bedenke, nicht unerklärlich, sogar fast logisch«
fand, regelrecht zu Herzen ging. Da der Fall der Katharina Blum angesichts der
Haltung der Angeklagten und der sehr schwierigen Position ihres Verteidigers
Dr. Blorna ohnehin mehr oder weniger fiktiv bleiben wird, sind vielleicht gewisse
kleine, sehr menschliche Unkorrektheiten, wie Hach sie beging, nicht nur
verständlich, auch verzeihlich. Die Nebenquellen, einige von größerer, andere
von geringerer Bedeutung, brauchen hier nicht erwähnt zu werden, da sich ihre
Verstrickung, Verwicklung, Befaßtheit, Befangenheit, Betroffenheit und Aussage
aus dem Bericht selbst ergeben.
2.
Wenn der Bericht – da hier so viel von Quellen geredet wird – hin und wieder
als »fließend« empfunden wird, so wird dafür um Verzeihung gebeten: es war
unvermeidlich. Angesichts von »Quellen« und »Fließen« kann man nicht von
Komposition sprechen, so sollte man vielleicht statt dessen den Begriff der
Zusammenführung (als Fremdwort dafür wird Konduktion vorgeschlagen)
einführen, und dieser Begriff sollte jedem einleuchten, der je als Kind (oder gar
Erwachsener) in, an und mit Pfützen gespielt hat, die er anzapfte, durch Kanäle
miteinander verband, leerte, ablenkte, umlenkte, bis er schließlich das gesamte,
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ihm zur Verfügung stehende Pfützenwasserpotential in einem Sammelkanal
zusammenführte , um es auf ein niedrigeres Niveau ab-, möglicherweise
gar ordnungsgemäß oder ordentlich, regelrecht in eine behördlicherseits
erstellte Abflußrinne oder in einen Kanal zu lenken. Es wird also nichts weiter
vorgenommen als eine Art Dränage oder Trockenlegung. Ein ausgesprochener
Ordnungsvorgang! Wenn also diese Erzählung stellenweise in Fluß kommt,
wobei Niveauunterschiede und -ausgleiche eine Rolle spielen, so wird um
Nachsicht gebeten, denn schließlich gibt es auch Stockungen, Stauungen,
Versandungen, mißglückte Konduktionen und Quellen, die »zusammen nicht
kommen können«, außerdem unterirdische Strömungen usw. usw.
3.
Die Tatsachen, die man vielleicht zunächst einmal darbieten sollte, sind brutal:
am Mittwoch, dem . . , am Vorabend von Weiberfastnacht, verläßt in
einer Stadt eine junge Frau von siebenundzwanzig Jahren abends gegen .
Uhr ihre Wohnung, um an einem privaten Tanzvergnügen teilzunehmen.
Vier Tage später, nach einer – man muß es wirklich so ausdrücken (es wird
hiermit auf die notwendigen Niveauunterschiede verwiesen, die den Fluß
ermöglichen) – dramatischen Entwicklung, am Sonntagabend um fast die
gleiche Zeit – genauer gesagt gegen . –, klingelt sie an der Wohnungstür
des Kriminaloberkommissars Walter Moeding, der eben dabei ist, sich aus
dienstlichen, nicht privaten Gründen als Scheich zu verkleiden, und gibt dem
erschrockenen Moeding zu Protokoll, sie habe mittags gegen . in
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