Die Prophezeiung
Vätern erzähle, was eben passiert ist! Das ist meine letzte Warnung an euch: Kommt Zaramé nicht noch einmal zu nahe und wenn ich noch ein einziges Mal erleben muss, dass ihr euch an Kleineren vergreift, melde ich euch dem Vogt! Wisst ihr, was euch dann blüht?“
Die panisch aufgerissenen Augen der beiden sprachen Bände. Sie drehten sich um und flohen noch leicht torkelnd um die nächste Ecke. Niall wandte sich um und sah Moran besorgt an. Zaramé wirkte vollkommen ruhig, aber das hatte er auch nicht anders erwartet. Niall wusste, wie rasch sich Zaramé nach einem Ausbruch ihrer Wut wieder in der Gewalt hatte. Aber seine Mutter hatte es noch nie erlebt. Moran zitterte heftig. Niall nahm sie an der Hand und sagte leise: „Komm, Mutter, wir reden zu Hause darüber.“
Widerstandslos ließ Moran sich von dem inzwischen gleichgroßen Jungen in ihr Haus führen. Zaramé verabschiedete sich von Lan und folgte ihnen rasch. Als sie an Balins Werkstatt vorbeikamen, sah dieser auf und bemerkte Morans außergewöhnliche Blässe sofort. Er legte die Axt, die er gerade bearbeitete, auf die Seite und fragte mit gesenkter Stimme: „Moran, was ist los?“
Niall nickte mit dem Kopf Richtung Haustür, Balin sicherte ohne ein weiteres Wort die Feuerstelle und kam ihnen nach.
Als er durch die Tür trat, wurde ihm bewusst, wie selbstbewusst sein Sohn ihn soeben ins Haus dirigiert hatte. Diese natürliche Autorität bei einem 10-Jährigen war beeindruckend, zumal Balin selbst nicht der Mann war, der sich gerne anderen beugte. Moran saß immer noch zitternd vor dem Feuer und als Zaramé ihr die Hand auf die Schulter legte, fuhr sie erschrocken zurück. Zaramé ließ die Hand dennoch, wo sie war und sagte sanft: „Ich wollte dich nicht erschrecken, Mutter, aber manchmal wird mir so heiß, wenn jemand so ungerecht ist. Ich weiß selbst nicht, was passiert! Ich mache ja eigentlich nichts, es geschieht mit mir einfach so!“
Niall runzelte die Stirn: „Zaramé, wenn du jedes Mal so stark reagierst, wenn irgendwo eine Ungerechtigkeit passiert, landest du irgendwann auf dem Scheiterhaufen! Reiß dich zusammen! Irgendwann wirst du wissen, wofür deine Fähigkeiten gut sind, aber jetzt können sie dir nur schaden!“
Balin sah die beiden streng an: „Könnte ich vielleicht auch einmal erfahren, was eigentlich los ist?“
Moran erzählte stockend, wie sie Zaramé vorgefunden hatte und Balin schwieg erschüttert. Niall erklärte mit fester Stimme: „Es gibt keinen Grund zur Sorge, Mutter! Sonst bin ich immer rechtzeitig zur Stelle gewesen, um diese Reaktion zu verhindern und sie hat es auch zunehmend besser im Griff.“
„Wie lange geht das jetzt schon, Niall, u nd warum erfahren wir das nicht? Schließlich sind wir eure Eltern!“, polterte Balin nun empört in die Stille.
Niall senkte beschämt den Kopf und sprach mit leiser Stimme: „Nein, das seid Ihr nicht, auch wenn wir so fühlen. Ihr seid die einzigen Eltern, die wir je gekannt haben, aber ich weiß, dass wir vorher woanders waren! Die Erinnerung ist verschwommen, aber sie ist da! Wir lieben Euch und wissen, wie gut wir es haben, als Eure Kinder aufwachsen zu dürfen. Dennoch sind wir anders, das ist gewiss!“
Zaramé kniete sich vor Moran auf den Boden und sah verzweifelt zu ihr auf: „Mutter, warum bin ich so anders? Und warum ist Niall größer und klüger als alle anderen Jungen in seinem Alter? Was wisst Ihr von uns? Bitte sagt es uns!“
Balin und Moran sahen sich an. Moran war das Herz schwer. Was würde nun geschehen? Würden sie die Kinder etwa jetzt schon verlieren? Balin räusperte sich und begann zu sprechen: „Ihr seid uns vor 8 Jahren vorhergesagt und anvertraut worden. Alles, was wir wissen ist, dass ihr – obwohl ihr keine Geschwister seid – eines Tages zusammen Großes leisten werdet. Angeblich liegt das Schicksal unseres Reiches einmal in euren Händen! Mehr wurde uns damals nicht gesagt, für Zaramé wurde uns allerdings etwas übergeben.“
„Wir sind keine Geschwister?“, fragte Zaramé entsetzt.
Ihre Eltern konnten sehen, dass diese Mitteilung ein Schock für das Mädchen war. Niall setzte sich neben Zaramé auf den Boden und nahm sie in den Arm.
„Zaramé, aber wir wissen, dass wir zusammengehören! Wir fühlen es doch beide, nicht wahr?“ Das Mädchen sah ihn an und die verräterische Nässe in den goldenen Augen begann zu schwinden. Sie nickte bedächtig.
„Ob wir Geschwister sind oder nicht, ist doch nicht so wichtig. Genau so
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